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Stadt Aus Blut

Stadt Aus Blut

Titel: Stadt Aus Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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Sündenbock gemacht, würde es jetzt vor Bullen und Pressefuzzis nur so wimmeln. Und ich könnte hier gar nichts mehr ausrichten.
    Der Hintereingang ist schon seit längerem mit Brettern verrammelt. Die Bullen hielten es nicht für nötig, hier eine Wache aufzustellen. Drei Jugendliche gehen lärmend vorbei. Ich warte, bis sie um die Ecke sind, dann nehme ich drei Schritte Anlauf und springe zwei Meter in die Höhe. Ich bekomme das Fensterbrett zu fassen und klettere an dem Metallgitter empor, das die zerbrochene Glasscheibe dahinter schützen soll.
    In weniger als einer Minute erreiche ich mithilfe weiterer Gitter und einiger hervorstehender Backsteine das Dach. Der Liter Blut, den ich heute getrunken habe, hat mich topfit gemacht. Auf den Fußballen schleiche ich zu einer Tür und sehe mir das Schloss an. Es ist alt und verrostet. Kein Problem für mich, es aufzubrechen, doch ich entscheide mich für den Dietrich in meiner Hosentasche. Ich lasse den Spanner in den Zylinder gleiten und führe den Haken daran vorbei, um die Stifte zu beharken. Mit viel Gefühl und konzentriertem Lauschen setze ich die leise klickenden Stifte. Ein kurzer Dreh am Spanner, und das Schloss springt auf. Innen ist es stockdunkel. Durch einen schmalen Spalt in der Tür lasse ich das blasse New Yorker Nachtlicht in den Raum scheinen. Meine Pupillen erweitern sich. Keine optimalen Lichtverhältnisse, aber es wird reichen.
    Die Luft ist feucht und riecht nach Schimmel, die Wände sind mit Graffiti beschmiert. Ich höre das Trippeln von Rattenfüßen vor mir. Das Vieh bleibt wie angewurzelt stehen, als es etwas Großes und Gefährliches wittert. Und es hat verdammt recht, ich bin wirklich gefährlich, wenn auch nicht für sie. Tierblut ist für Träger des Vyrus ungefähr so nahrhaft wie Salzwasser.
    Die stickige Luft des Schulgebäudes strömt durch den Spalt in der Tür hinaus in die kühle Nacht. Ich folge dem schwachen Luftzug und erreiche die Treppe, die drei Stockwerke hinab zum Erdgeschoss führt. Die Gerüche, die in der Luft liegen, erzählen von den Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden: verrottende Zombies, Ali Singhs Urin und das Blut und die Hirnmasse des namenlosen anderen Jungen. Ich rieche meinen eigenen schwachen Raubtierduft und die Seife Marke Ivory, die ich zum Duschen benutze. Darüber liegen der durchdringende Geruch von schwitzenden Cops, Kaffee, Fingerabdruckpulver sowie die üblen Ausdünstungen sensationslüsterner Reporter. Und im Hintergrund immer das feuchte, modrige Gebäude.
    Der Raum, in dem die Morde geschahen, ist nicht abgeschlossen. Die Bullen haben ihn mit gelbem Absperrband gesichert, dem Symbol für die Tragödien unserer Zeit. Ich reiße es herunter und öffne die Tür. Ein durchdringender Gestank schlägt mir entgegen.
    Normalerweise hätten sie alles schon lange mit Bleiche keimfrei gemacht, aber wahrscheinlich wollen die Bullen den Tatort so lange in seinem ursprünglichen Zustand belassen, bis Singh ein Geständnis abgelegt hat. Ergebnis: Kreidemarkierungen, wo die Leichen lagen, getrocknetes Blut, Urin, das Erbrochene desjenigen, der das Massaker entdeckt hat, und – natürlich – Hirnmasse.
    Es gelingt mir, die drei verschiedenen Duftspuren der Zombies auszumachen. Diejenige des Mädchens riecht leicht nach Moschus, die des Typen, dem ich das Genick gebrochen habe, wie ranziger Achselschweiß. Der andere, auf dem ich herumgetrampelt bin, hat anscheinend Haarspray benutzt. Ich blende diese Gerüche aus und konzentriere mich. Aber sonst ist nichts zu riechen – weder ein anderer Zombie noch der Überträger.
    Nur der Moschusduft des Mädchens.
    Wieso Moschus? Es ist ein abgestandener Geruch nach Sex, genau wie ich ihn letzte Nacht bemerkt habe, bevor mich Singh ablenkte. Zombies haben keinen Sex, oder? Scheiße, ich bin mir nicht sicher. Ich beuge mich über die Markierungen auf der Stelle des Bodens, an dem ihre Leiche gelegen hat, und atme tief ein, wobei ich alle anderen Gerüche ausblende.
    Ich kann Folgendes riechen: Ihre Jugend – sie war höchstens siebzehn oder achtzehn. Den Gestank des Bakteriums, das sie bei lebendigem Leib aufgefressen hat. Den ätzenden Geruch der Kosmetika um Augen und Mund, den schwarzen Nagellack. Sie verlor die Kontrolle über Blase und Darm, als ich ihr das Messer ins Genick gerammt habe. Parfüm, Schweiß und der Fußpilz in ihren Doc Martens. Und darunter immer der moschusartige Duft. Jemand hat sie berührt, an ihr rumgefummelt. Jemand hat sie gefickt.

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