Stadt Aus Blut
für mich?
– Nein.
– Aha. Kannst du mich rauslassen? Dann organisier ich mir selbst welches.
– Nein. Du musst schon warten, bis Terry aus dem Hood wiederkommt.
– Und wann ist das?
– Vielleicht heute Nacht, vielleicht auch erst in ein paar Nächten. Kommt drauf an, ob er einen sicheren Weg zurück findet.
Ein paar Nächte.
– Kannst du ihn nicht anrufen?
– Er will nicht, dass wir ihn anrufen, solange er da oben ist. Er glaubt, dass die Koalition die Leitungen anzapft und das Handynetz überwacht, und befürchtet, sie könnten rausfinden, welche Route er nimmt und wann. Klingt für mich ein bisschen paranoid. Vielleicht hat er zu lange mit Tom gequatscht. Aber ich will kein Risiko eingehen.
– Klar, Lydia. Geht in Ordnung. Aber hör mal, da gibt’s ein Mädchen, das ich finden muss.
– Eine Frau.
– Nein, sie ist wirklich ein Mädchen. In dem Alter, in dem ihre Daddys sie gerne mal missbrauchen.
Sie steht auf und kommt zu mir rüber.
Über Lydia weiß ich eigentlich nicht viel, aber das Wenige reicht mir. Noch vor ein paar Jahren schrieb sie an der NYU an ihrer Abschlussarbeit über radikale Geschlechterrollen. Sie war sehr engagiert, was Hochschulpolitik betraf. Und sie veranstaltete Selbstverteidigungskurse für Frauen. Ich weiß, dass ein verzweifelter Unabhängiger sie eines Nachts überfiel und dafür mit einem Auge und einer gebrochenen Hüfte bezahlte. Aber zuvor schaffte er es, ihr ein Loch in die Wange zu beißen. Und kurz darauf tauchten ein paar Leute in ihrem Leben auf, von denen sie gar nicht wusste, dass sie sie kannte. Als es ihr dann richtig schlecht ging, kümmerten sich diese Leute um sie und stellten sie Terry vor. Der größte Schock für sie war, dass die vyrusinfizierten Schwulen und Lesben so komplett unorganisiert waren. Entschlossen nahm sie sich dieser neuen Aufgabe an.
Sie ist ein harter Knochen, aber sie ist auch noch recht jung. Wirklich jung, nicht älter als fünfundzwanzig. Sie hat einen weichen Kern und glaubt noch an die Werte und Gefühle ihres alten Lebens. Wie fast alle am Anfang. Irgendwann werden sie dann entweder erwachsen oder gehen drauf.
– Und wieso kümmert dich das, Joe?
– Tut es nicht. Ist nur ein Job. Aber ich glaube, dich kümmert’s.
– Es ist manchmal nicht einfach mit dir, Joe.
– Da draußen ist ein kleines Mädchen. Völlig hilflos.
– Manchmal bist du ein richtiges Arschloch.
– Ganz allein.
– Also sag mir, wo sie ist, dann helfe ich ihr.
– Das weiß ich nicht. Deswegen muss ich ja hier raus. Um sie zu suchen.
– Wie willst du das anstellen?
– Ich werde es aus einem Typen rausprügeln.
– Sag mir, wie er heißt. Dann werd ich das übernehmen.
– Ja, das würde dir gefallen. Das Dumme ist nur, dass er jenseits der 14th wohnt. Und Verbindungen hat. Wenn du ihn fertigmachst, hat das ein politisches Nachspiel.
– Verstehe. Da ist noch etwas...
– Ja?
– Warum sollte ich dir glauben? Warum, Joe? Sag mir einen vernünftigen Grund, warum ich mir deinen Scheiß anhören sollte.
– Warum sollte ich lügen? Angenommen, ich rede wirklich Scheiße und du lässt mich raus. Wo sollte ich dann hin? Wenn ich die Gegend verlasse, bin ich im Arsch. Und wenn ich hier bleibe, könnt ihr mich jederzeit wieder einsammeln. Also, wo sollte ich hin?
– Nach Uptown.
– Alles, was ich mit denen aushandeln kann, läuft doch nur, weil ich hier wohne. Sobald ich meine Zelte oberhalb der 14th aufschlage, bin ich für die wertlos. Und du hast sicher gehört, was Dexter Predo mit überflüssigen Mitarbeitern anstellt?
– Ja.
– Ja, und da wird nicht übertrieben.
Sie schweigt.
– Lydia, sie ist vierzehn. Sie heißt Amanda.
Ich kriege irgendwie meine Finger in die Jackentasche. Sie haben mir meine Kanone, das Messer, das Werkzeug und das Blut abgenommen. Das Foto ist zum Glück noch da. Ich schiebe es unter der Tür durch.
– Das ist sie.
Sie hebt das Bild auf. Ich höre nur ihren Atem, das Rascheln der Zeitung, die Hurley liest, und das Vyrus, das in meinen Adern fortwährend Hunger und Schmerz flüstert. Dann schiebt sie das Foto wieder zurück.
– Du hast einen Fehler gemacht, Joe.
– Nämlich?
– Du hättest gestern Nacht die Frau nicht anzapfen sollen. Das war Vergewaltigung, Joe. Und mit Vergewaltigern will ich nichts zu tun haben.
Sie geht weg.
– Ich geh nach oben, Hurley. Wenn der Arsch anfängt, dir irgendeinen Scheiß über ein kleines Mädchen zu erzählen, dann hör einfach nicht
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