Stadt aus Glas
Gedichte mehr geschrieben.«
»Sie haben vor einigen Jahren ein Buch veröffentlicht, nicht wahr? Ich glaube, der Titel lautete Unfinished Business. Ein kleines Buch in einem blauen Einband.«
»Ja, das war ich.«
»Es hat mir sehr gut gefallen. Ich hoffte, noch mehr von Ihnen zu sehen. Ja, ich fragte mich, was aus Ihnen geworden war.«
»Ich bin noch hier. Sozusagen.«
Auster öffnete die Tür weiter und bat Quinn mit einer Handbewegung einzutreten. Es war eine recht hübsche Wohnung: seltsam angelegt mit mehreren Korridoren, Bücher lagen überall umher, an den Wänden hingen Bilder von Malern, die Quinn nicht kannte, einige Spielsachen waren über den Boden verstreut - ein roter Lkw, ein brauner Bär, ein grünes Ungeheuer aus dem Weltraum. Auster führte ihn ins Wohnzimmer, ließ ihn in einem abgewetzten Polstersessel Platz nehmen und ging in die Küche, um Bier zu holen. Er kam mit zwei Flaschen zurück, stellte sie auf eine Holzkiste, die als Kaffeetisch diente, und setzte sich Quinn gegenüber auf ein Sofa.
»Wollten Sie über eine literarische Angelegenheit mit mir sprechen?« begann Auster.
»Nein«, sagte Quinn. »Ich wollte, es wäre so. Aber dies hat mit Literatur nichts zu tun.«
»Womit dann?«
Quinn schwieg, blickte sich im Zimmer um, ohne etwas zu sehen, und suchte nach einem Anfang.
»Ich habe das Gefühl, daß hier ein schrecklicher Irrtum vorliegt. Ich bin hergekommen, um Paul Auster, den Privatdetektiv, aufzusuchen.«
»Den was?« Auster lachte, und mit diesem Lachen wurde plötzlich alles in Stücke gerissen. Quinn erkannte, daß er Unsinn redete. Er hätte ebensogut nach Häuptling Sitting Bull fragen können - die Wirkung wäre dieselbe gewesen.
»Den Privatdetektiv«, wiederholte er leise.
»Ich fürchte, Sie sind an den falschen Paul Auster geraten.«
»Sie sind der einzige im Telefonbuch.«
»Mag sein«, sagte Auster. »Aber ich bin kein Detektiv.«
»Wer sind Sie dann? Was tun Sie?«
»Ich bin Schriftsteller.«
»Schriftsteller?« Quinn sprach das Wort aus wie einen Klagelaut.
»Tut mir leid«, sagte Auster. »Aber das bin ich nun zufällig einmal.«
»Wenn das wahr ist, gibt es keine Hoffnung mehr. Das Ganze ist ein böser Traum.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
Quinn sagte es ihm. Er begann von vorn und erzählte Schritt für Schritt die ganze Geschichte. Der Druck hatte sich in ihm aufgestaut, seitdem Stillman an diesem Morgen verschwunden war, und er entlud sich nun in einem Strom von Worten. Er sprach von den Telefonanrufen, die Paul Auster galten, von seiner unerklärlichen Übernahme des Falles, von seiner Begegnung mit Peter Stillman, von seinem Gespräch mit Virginia Stillman; er schilderte, wie er Stillmans Buch gelesen hatte, wie er Stillman von der Grand Central Station aus gefolgt war, er erzählte von Stillmans täglichen Wanderungen, seiner Tasche und den zerbrochenen Gegenständen, von den beunruhigenden Karten, die Buchstaben des Alphabets darstellten, von seinen Gesprächen mit Stillman, von Stillmans Verschwinden aus dem Hotel. Als er fertig war, fragte er: »Halten Sie mich für verrückt?«
»Nein«, sagte Auster, der Quinns Monolog aufmerksam angehört hatte. »Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, würde ich wahrscheinlich dasselbe getan haben.«
Diese Worte waren eine große Erleichterung für Quinn, so als hätte er endlich die Last nicht mehr allein zu tragen. Er hätte Auster am liebsten in die Arme genommen und ihm Freundschaft fürs Leben geschworen.
»Hier, sehen Sie«, sagte er. »Ich erfinde nichts. Ich habe sogar einen Beweis.« Er nahm seine Brieftasche heraus und reichte Auster den Fünfhundertdollarscheck, den ihm Virginia Stillman vor zwei Wochen gegeben hatte. »Sehen Sie«, sagte er. »Er ist sogar auf Sie ausgestellt.«
Auster prüfte den Scheck sorgfältig und nickte. »Das scheint ein vollkommen normaler Scheck zu sein.«
»Er gehört Ihnen«, sagte Quinn. »Ich möchte, daß Sie ihn haben.«
»Ich kann ihn doch nicht annehmen.«
»Für mich ist er wertlos.« Quinn sah sich in der Wohnung um und sagte mit einer vagen Handbewegung: »Kaufen Sie sich noch ein paar Bücher oder Spielsachen für Ihr Kind.«
»Dieses Geld haben Sie sich verdient. Es steht Ihnen zu.« Auster unterbrach sich einen Augenblick. »Eines kann ich immerhin für Sie tun. Da der Scheck auf meinen Namen ausgestellt ist, werde ich ihn für Sie einlösen. Ich bringe ihn morgen früh zu meiner Bank, zahle ihn auf mein Konto ein und
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