Stadt aus Glas
eingezogen.«
Der Angestellte schlug das Buch auf, blätterte darin und fuhr mit dem Finger über die Kolonnen der Namen und Zahlen. »Stillman«, sagte er. »Zimmer 303. Er ist nicht mehr da.«
»Wie?«
»Er ist ausgezogen.«
»Was reden Sie da?«
»Hören Sie, Mann, ich sage Ihnen nur, was hier steht. Stillman hat sich gestern abend abgemeldet. Er ist weg.«
»Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe.«
»Es ist mir egal, was das ist. Hier steht es schwarz auf weiß.«
»Hat er eine Nachsendeadresse angegeben?«
»Soll das ein Witz sein?«
»Um welche Zeit ist er fortgegangen?«
»Muß ich Louie fragen, den Nachtportier. Er kommt um acht.«
»Kann ich das Zimmer sehen?«
»Tut mir leid. Ich habe es heute morgen selbst vermietet. Der Kerl liegt oben und schläft.«
»Wie sieht er aus?«
»Für fünf Dollar haben Sie aber 'ne Menge Fragen.«
»Vergessen Sie's«, sagte Quinn mit einer verzweifelten Handbewegung. »Es ist nicht so wichtig.«
Er kehrte in einem heftigen Regenguß zu seiner Wohnung zurück und wurde trotz seines Schirms klatschnaß. Soviel zu den Funktionen, sagte er sich. Soviel zur Bedeutung von Wörtern. Er warf den Schirm angewidert auf den Boden des Wohnzimmers. Dann zog er den Sakko aus und schleuderte ihn gegen die Wand. Wasser spritzte umher. Er rief Virginia Stillman an, weil er zu verwirrt war, um sich etwas anderes auszudenken. Sie meldete sich, als er schon wieder auflegen wollte.
»Ich habe ihn verloren«, sagte er.
»Sind Sie sicher?«
»Er ist gestern abend ausgezogen. Ich weiß nicht, wo er ist.«
»Ich habe Angst, Paul.«
»Haben Sie von ihm gehört?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, ja, aber ich bin nicht sicher.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Peter ist heute morgen ans Telefon gegangen, während ich mein Bad nahm. Er will mir nicht sagen, wer es war. Er ist in sein Zimmer gegangen, hat die Rouleaus heruntergezogen und weigert sich zu sprechen.«
»Aber das hat er doch schon öfter getan.«
»Ja. Deshalb bin ich auch nicht sicher. Aber er hat es schon lange nicht mehr gemacht.«
»Das klingt nicht gut.«
»Das fürchte ich auch.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe einige Ideen. Ich werde mich gleich näher mit ihnen beschäftigen.«
»Wie erreiche ich Sie?«
»Ich rufe Sie alle zwei Stunden an, egal wo ich bin.«
»Sie versprechen es mir?«
»Ich verspreche es.«
»Ich habe solche Angst. Ich halte es nicht aus.«
»Meine Schuld. Ich habe einen dummen Fehler gemacht. Tut mir leid.«
»Nein, ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Niemand kann jemanden vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen. Das ist unmöglich. Sie müßten in seiner Haut stecken.«
»Das ist es ja. Ich dachte, ich steckte in seiner Haut.«
»Es ist noch nicht zu spät, oder?«
»Nein. Wir haben noch viel Zeit. Ich möchte, daß Sie sich beruhigen.«
»Ich will's versuchen.«
»Gut. Ich lasse von mir hören.«
»Alle zwei Stunden?«
»Alle zwei Stunden.«
Er hatte sich bei diesem Gespräch recht gut aus der Affäre gezogen. Trotz allem war es ihm gelungen, Virginia Stillman zu beruhigen. Es fiel ihm schwer, es zu glauben, aber sie schien ihm immer noch zu vertrauen. Nicht, daß ihm das etwas nützte. Denn er hatte sie in Wirklichkeit belogen. Er hatte nicht einige Ideen. Er hatte nicht einmal eine einzige.
10
Stillman war also fort. Der alte Mann war ein Teil der Stadt geworden. Er war ein kleiner Fleck, ein Satzzeichen, ein Ziegel in einer endlosen Ziegelmauer. Quinn konnte den Rest seines Lebens jeden Tag durch die Straßen gehen, ohne ihn je zu finden. Alles war nun auf den Zufall reduziert, auf einen Alptraum von Zahlen und Wahrscheinlichkeiten. Es gab keine Anhaltspunkte, keine Spuren, nichts, was man tun konnte.
Quinn ging im Geiste zurück bis zum Beginn des Falles. Seine Aufgabe war es gewesen, Peter zu beschützen, nicht, Stillman zu folgen. Das war nur eine Methode gewesen, ein Versuch vorauszusagen, was geschehen könnte. Indem er Stillman beobachtete, konnte er, nach seiner Theorie, erfahren, was er gegen Peter vorhatte. Er hatte den alten Mann zwei Wochen beschattet. Was konnte er nun folgern? Nicht viel. Stillmans Verhalten war zu undurchsichtig gewesen, um ihm irgendwelche Hinweise zu geben.
Natürlich konnten sie gewisse extreme Maßnahmen ergreifen. Er konnte Virginia Stillman vorschlagen, sich eine geheime Telefonnummer geben zu lassen. Das würde, wenigstens für eine Weile, die beängstigenden Anrufe ausschalten. Wenn das nichts half,
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