Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
konnten sie und Peter umziehen. Sie konnten das Viertel, vielleicht überhaupt die Stadt verlassen. Schlimmstenfalls konnten sie eine neue Identität annehmen und unter anderen Namen leben.
    Der letzte Gedanke erinnerte ihn an etwas Wichtiges. Er hatte bis jetzt nie ernsthaft die Umstände untersucht, unter denen er seinen Auftrag erhalten hatte. Es war alles zu rasch gegangen, und er hatte es für selbstverständlich gehalten, daß er für Paul Auster einspringen konnte. Sobald er den Sprung in diesen Namen getan hatte, hatte er an Auster selbst nicht mehr gedacht. Wenn dieser Mann ein so guter Detektiv war, wie die Stillmans glaubten, war er vielleicht imstande, ihm bei diesem Fall zu helfen. Quinn wollte ihm offen alles gestehen, Auster würde ihm verzeihen, und gemeinsam konnten sie Peter Stillman retten.
    Er suchte auf den gelben Seiten des Branchenver­zeichnisses nach dem Detektivbüro Auster. Es war nicht eingetragen. Aber er fand den Namen auf den weißen Seiten. Es gab einen Paul Auster in Manhattan. Er wohnte am Riverside Drive, nicht weit von Stillmans Haus entfernt. Ein Detektivbüro wurde nicht erwähnt, aber das mußte nichts bedeuten. Auster war vielleicht so beschäftigt, daß er es nicht nötig hatte, für sich zu werben. Quinn nahm den Hörer ab und wollte schon die Nummer wählen, aber dann besann er sich. Dieses Gespräch war zu wichtig, man konnte es nicht dem Telefon überlassen. Er wollte es nicht riskieren, einfach kurz abgefertigt zu werden. Wenn Auster kein Büro hatte, so bedeutete das, daß er zu Hause arbeitete. Quinn wollte ihn dort aufsuchen und mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen.
    Es hatte nun zu regnen aufgehört. Der Himmel war noch grau, aber weit im Westen konnte Quinn einen Lichtstrahl sehen, der durch die Wolken fiel. Als er den Riverside Drive hinaufging, wurde ihm bewußt, daß er nicht mehr Stillman verfolgte. Ihm war zumute, als hätte er die Hälfte seiner selbst verloren. Zwei Wochen lang war er durch einen unsichtbaren Faden mit dem alten Mann verbunden gewesen. Was immer Stillman getan, hatte auch er getan, wohin immer Stillman gegangen, war auch er gegangen. Sein Körper hatte sich noch nicht an die neue Freiheit gewöhnt, und an den ersten Häuserblocks entlang ging er noch mit dem alten schlurfenden Gang. Der Bann war gebrochen, doch sein Körper wußte es noch nicht.
    Austers Haus stand in der Mitte des langen Blocks zwischen der 116th und der 119th Street, südlich der Riverside Church und von Grant's Tomb. Es war ein ordentliches Haus mit polierten Türklinken und sauberen Fensterscheiben, und es hatte eine bürgerliche Nüchtern­heit an sich, die Quinn in diesem Augenblick gefiel. Austers Wohnung befand sich im elften Stock. Quinn drückte auf den Knopf und wartete darauf, eine Stimme aus der Sprechanlage zu hören. Aber der Türöffner summte ohne vorherigen Wortwechsel. Quinn stieß die Tür auf, ging durch den Flur und fuhr mit dem Lift zum elften Stock hinauf.
    Ein Mann öffnete ihm die Wohnungstür. Er war groß und dunkel, Mitte Dreißig. Seine Kleidung war zerknittert, und er hatte einen zwei Tage alten Bart. In der rechten Hand hielt er zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger einen Füllfederhalter ohne Kappe, so als hätte er gar nicht aufgehört zu schreiben. Der Mann schien überrascht zu sein, einen Fremden vor sich zu sehen.
    »Ja?« fragte er zögernd.
    Quinn sprach im höflichsten Ton, dessen er fähig war: »Haben Sie jemand anders erwartet?«
    »Ja, tatsächlich, meine Frau. Deshalb habe ich auf den Summer gedrückt, ohne zu fragen, wer da ist.«
    »Ich störe Sie ungern«, entschuldigte sich Quinn, »aber ich suche Paul Auster.«
    »Ich bin Paul Auster«, sagte der Mann.
    »Ich frage mich, ob ich mit Ihnen sprechen könnte. Es ist sehr wichtig.«
    »Sagen Sie mir zuerst einmal, worum es sich handelt.«
    »Das weiß ich selbst nicht recht.« Quinn sah Auster ernst an. »Es ist kompliziert, fürchte ich. Sehr kompliziert.«
    »Haben Sie einen Namen?«
    »Entschuldigen Sie. Natürlich, Quinn.«
    »Quinn und wie noch?«
    »Daniel Quinn.«
    Der Name schien Auster etwas zu sagen, und er schwieg einen Augenblick nachdenklich, so als suchte er etwas in seinen Erinnerungen. »Quinn«, murmelte er vor sich hin. »Ich kenne den Namen von irgendwoher.« Er verstummte wieder und strengte sich noch mehr an, um die Antwort zu finden. »Sie sind nicht etwa Dichter, oder?«
    »Ich war es einmal«, sagte Quinn. »Aber ich habe nun schon lange keine

Weitere Kostenlose Bücher