Stadt aus Sand (German Edition)
geraten, nicht loszuziehen …«, hatte ihm der Hogon an jenem Abend anvertraut. Er war ein sehr enger Freund von Setukés Familie und darüber hinaus ein sehr alter und sehr mächtiger Mann. Drei Tugenden, die ihn zum einzigen Menschen werden ließen, dem Setuké sich anvertrauen konnte.
»Aber er hat darauf bestanden und mich beinahe ausgelacht. Und hat gesagt: ›Ich weiß, wer er ist. Ich weiß, wer er war, bevor er sich Fürst nennen ließ. Ich kannte noch Sanagò!‹«
Aber Sanagò hatte sich verändert.
Er war mächtig und finster, unberechenbar geworden. Und diese geheimnisvolle finstere Macht hatte Setukés Vater unterschätzt. Er hatte sich ihm mit seinen Liedern und seiner Kette aus achtzig Stück Bernstein gestellt, in die der Hogon für ihn etwas eingeritzt hatte: achtzig Stücke Bernstein und achtzig Laute der Tiere, die ihm während seines Kampfes beistehen sollten.
»Doch die Kette hat ihm nichts genützt«, sagte Setuké leise und bückte sich, um das Rombo mit seinen blutenden Händen aufzuheben.
Die achtzig Stück Bernstein hatten nichts genützt, weil Sanagò verbotene Worte gebraucht hatte. Worte, die man die Menschen nur gelehrt hatte, damit sie Amma verstehen würden, wenn der Gott eines Tages von den Sternen auf die Erde zurückkehrte, um nachzusehen, was aus seiner Schöpfung geworden war. Worte der Götter, die die Seele dessen verbrannten, der sie aussprach. Und sein Blut und sein Öl austrockneten.
Niemand hatte dies je getan. Und niemand wusste, wie es dem Fürsten der Stadt aus Sand gelungen war.
Niemand?
Nachdenklich näherte sich Setuké dem Dorf, das von der Falaise beschützt wurde. Er konnte deutlich die verschiedenen Gesteinsschichten der Felswand erkennen.
Vor Müdigkeit schlurfte er mit den Sandalen über den Boden.
Am Tor zum Baobab begegnete er seiner Nichte.
»Gesundheit deinem Körper, Zouley. Gesundheit aus Schweiß, Gesundheit aus Hitze. Gesundheit aus einer Nacht voll Schlaf und einem frohen Erwachen.«
Die Frau erwiderte seinen Gruß, blieb aber beim Tor stehen.
»Wie kommt es, dass du hier bist?«
»Mein Vater hat gesprochen.«
Setuké schwankte und stützte sich mit den beiden Stöcken ab: »Das ist nicht möglich!«
»Und doch ist es geschehen«, beharrte Zouley. Sie zeigte ihm die zwei Armreifen aus Kupfer und den Tellit -Ring mit dem kleinen Stein aus der Wüste, die Rokia gehörten.
»Ich habe das hier an seine Lippen gehalten … und er hat gesprochen.«
»Was hat er gesagt?«
»›Folge Ayad, Rokia! Aber hüte dich vor ihm!‹«
Setuké war noch erstaunter als vorher. Was bedeuteten diese Worte? Und wie hatte Matuké die Kraft gefunden, sie auszusprechen? Waren sie eine Botschaft an ihn? Und konnte er weitere geben?
Er versuchte hineinzugehen, doch Zouley hielt ihn zurück. Und zwar mit unerwartet festem Griff.
»Frau«, zischte der Priester genauso entschlossen. »Das darfst du nicht tun.«
»Das darf ich wohl«, antwortete Zouley. »Und ich lasse dich nicht los, bis du mir erzählt hast, was hier vorgeht.«
»Du sprichst mit dem Hogon , Zouley …«
»Nein, ich spreche jetzt nicht mit dem Hogon , sondern mit Setuké, dem vielgeliebten Bruder meines Vaters. Mich interessieren weder Priester noch Geschichtensänger, Rätsel oder Geheimnisse. Ich bin eine Mutter, Setuké. Und Rokia ist meine einzige Tochter. Ich will wissen, wo sie hingegangen ist.«
DER TABLIER
Sie standen in der Morgendämmerung auf.
Ayad stapelte einige Truhen zu einem schwankenden Turm, auf dem er sehr vorsichtig einen äußerst modernen Rasierspiegel mit einer Vergrößerungslinse platzierte. Dann lief er im Lager umher und trat gegen die anderen Gepäckstücke, bis er die Truhe mit den Messern am Geräusch erkannte.
Die öffnete er, nahm ein Rasiermesser heraus und legte es vor dem Spiegel ab, dann suchte er genauso weiter, bis er die Seife fand.
»Ich habe vielleicht gut geschlafen!«, rief Rokia, die in diesem Moment aus dem Zelt krabbelte, das Ayad ihr überlassen hatte. »Hallo, Raogo!«
Der Wüstenfuchs streckte sich gähnend, machte aber keine Anstalten, sich dem Mädchen zu nähern.
Ayad stand hochkonzentriert vor seinem Turm aus Truhen und wartete darauf, dass ein erster Sonnenstrahl auf den Spiegel fiel. Sein Gesicht war mit Rasierschaum bedeckt, der durch die orangefarbene Erde seiner Bemalung eingefärbt war. Dann rasierte er sich und trällerte dabei: »Ein neuer Tag! Ein neues Geschäft! Für jeden neuen Tag gibt es ein neues Geschäft!«
»Du
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