Stadt aus Sand (German Edition)
und seines Öls des Lebens, um ihn zu kräftigen. Er legte eine Hand auf sein Herz, damit es stärker schlug, und drückte den Brustkorb hoch und nieder, damit er weiteratmete. Doch es war, als wollte er eine Lumpenpuppe wachhalten.
Bei dieser starken Beanspruchung nahm die Kraft des Priesters schnell ab. Er fühlte, wie warm seine Fußsohlen waren, und schlief jede Nacht weniger. Und wenn er nicht schlief, konnte die heilige Lebè- Eidechse nicht zu ihm kommen und ihm die Fußsohlen lecken, um ihm neue Kraft zu schenken.
Setuké opferte sich auf.
Seine blutenden Handflächen waren so glutrot wie die untergehende Sonne. Dieses Rot, die Farbe der Kraft, das sich durch das Weiß, die Farbe des Todes, zog.
Und dieses Weiß der Wüste kam näher und erstickte das Grün des Wassers, das Rot des Blutes und das Schwarz des Öls.
Die Welt trocknete aus.
»Ich kann nicht mehr, Bruder. Nein, ich kann nicht mehr«, sagte der Hogon mit geschlossenen Augen. »Unser Kampf geht zu Ende.«
Ein leichter Windstoß schüttelte die Zweige des Baobabs .
»Meine Worte reichen nicht aus, um das Dorf zu schützen und dich am Leben zu erhalten. Was soll ich tun?«
Er wollte nicht zwischen seinem Bruder und dem Dorf wählen. Das Dorf war Teil ihres Lebens, ihr Vater hatte es gegründet, der sich als Erster dem Fürsten der Stadt aus Sand entgegengestellt hatte. Ihr Vater, ein Wahnsinniger, der geglaubt hatte, er könne ihn aufhalten.
Heute, nach so vielen Jahren, war das Dorf das letzte Bollwerk gegen die sich immer mehr ausbreitende Wüste. Und Setuké sein letzter Beschützer.
»Ich schaffe es nicht«, klagte er. »Ich schaffe es nicht.«
Setukés Erinnerung verlor sich in der Zeit und machte einen gewaltigen Sprung zurück, wie er es inzwischen gewöhnt war, kehrte zurück zu jener Nacht, in der sein Vater gestorben war. Er erinnerte sich noch genau an die Last des toten Körpers auf seinen Schultern, als er und der kleine Matuké ihn über die ganze Grasebene ins Dorf zurückgeschleppt hatten. Es war eine schier endlose Reise, voller Rätsel. Eine stumme Reise, nur von den Rufen eines Falken mit weißer Halskrause begleitet, der vor ihnen herflog, als wollte er ihren Weg bewachen, und vom nicht allzu fernen Heulen eines Schakals, der ihnen aus genauso rätselhaften Gründen zu folgen schien, um den Weg hinter ihnen abzusichern.
Immer wenn sich Setuké und Matuké an jenen Abend erinnerten, hatten sie geglaubt, dass diese beiden Tiere sie auf ihrer Reise beschützt hatten.
Vor vielen Jahren, als die Zwillinge endlich das Togu-na erreicht hatten, hatte der Priester ihrem Vater die Augen geschlossen und dabei Worte aus uralter Zeit gemurmelt. Noch in der gleichen Nacht waren sie die Felsen hochgeklettert, um ihn noch vor dem Morgengrauen in der Grotte auf dem höchsten Punkt der Falaise zu bestatten. Sie hatten seine Masken mitgenommen und mit einigen Stöcken aus verbranntem Holz schützende Symbole gezeichnet.
Während er zeichnete, hatte der Priester mit Setuké und Matuké geredet, als seien sie erwachsene Männer und schon in deren Geheimnisse eingeweiht. Er hatte eine in sich verschlungene Spirale gezeichnet: Es war die Himmelsbahn von Po Tolo , dem Zwillingsstern, von dem Amma herabgestiegen war, der Gott der Erde und der Menschen, der die Nommo erschaffen hatte, das erste Zwillingspaar, einen Mann und eine Frau. Dann hatte der Priester eine Reihe von Kreisen hinzugefügt, die an beiden Enden zusammengedrückt waren und so oval wie Eier aussahen, das waren die Tolo go nose , die Umlaufbahnen der Planeten, die am Himmel kreisten wie das Blut im Körper. Die Planeten bewegten sich, um auf das Böse zu treffen und das Universum zu reinigen, genau wie das Blut sich selbst reinigte, wenn es durch den Körper strömte, allein durch die Kraft seiner Bewegung.
Das Leben ist ein ständiger Kreislauf. Der Tag reinigt die Nacht. Und der Kleine ist genauso viel wert wie der Große.
Doch manchmal will der Große den Kleinen vernichten.
Mühsam erhob sich Setuké und stützte sich am Stamm des Baobabsab.
»Ich bin zu klein, Bruder, viel zu klein.«
In der Nacht, als sein Vater bestattet wurde, hatten Setuké und der Hogon einander lange angesehen.
Dann hatte der Mann, ein Freund seines Vaters, zu ihm gesagt: »Komm mit mir. Ich will dir noch mehr Geheimnisse erzählen.«
Und so kam es, dass Setuké die Rituale, die Heilpflanzen und die Worte kennenlernte, die den Zauber der Menschen beherrschen.
»Ich habe deinem Vater
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