Stadt aus Trug und Schatten
erfolgreicher Abend. Interessant wäre es allerdings noch zu erfahren, wo in den Pyramiden Sie den Stein … deponiert haben. Gibt es diesbezüglich bereits irgendwelche Ideen?«
Erneut richtete ich die Sichel auf ihn, doch der Kanzler legte lediglich eine Hand über seine Augen, weil ihn das bläuliche Licht blendete. »Sie wollen es also nicht verstehen«, sagte er und seufzte. »Wie Sie wünschen. Dann sind wir von nun an Feinde.«
Ich nickte. »Einverstanden!«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und jetzt will ich sofort zum Boden. Landen Sie das Schiff!!« Obwohl der Kanzler nicht den Anschein erweckte, als würde er mir gleich etwas antun, wollte ich nur noch weg.
»Aber Prinzessin, das ist doch kein Grund, hier so herumzuschreien. Sie sind selbstverständlich frei zu gehen, wann und wohin es Ihnen beliebt«, sagte der Kanzler, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, und legte seine Füße auf die Fensterbank. »Dieses Luftschiff wird jedoch noch ein Weilchen rasten, denn der Kapitän benötigt eine Pause, bevor er sich an die Vorbereitung seiner Expedition zu einer gewissen ägyptischen Sehenswürdigkeit begibt.«
Wortlos stapfte ich durch die Gondel und riss die Tür auf. Ein eisiger Wind schlug mir entgegen. Und der Abgrund. Unter mir erkannte ich die Dächer der Stadt. Winzig wirkten sie von hier oben, ein Durcheinander aus Rechtecken, Quadraten und Ovalen, durchzogen vom Netz der Straßen und Gassen. Ganz in der Nähe entdeckte ich die beiden Türme von Notre-Dame und eine Statue, die anscheinend meinen Vater auf dem Rücken eines Schattenpferdes darstellen sollte. Ich kannte diese Perspektive, doch ich wusste, wenn ich mich nun fallen ließe, würde mein Sturz nicht mit einem Blinzeln enden, sondern mit etwas weitaus Unangenehmeren. Mit etwas Tödlichem. Trotzdem, alles in mir weigerte sich, auch nur eine Sekunde länger hierzubleiben.
Ich schob die Sichel zurück in meine Tasche und raffte meine Röcke. Irgendeinen Weg musste es doch geben.
»Wahrscheinlich wird es ohne Ihre Hilfe einige Zeit dauern, den Weißen Löwen zu finden«, fuhr der Kanzler hinter mir in bestem Plauderton fort. »Aber selbst wenn ich jeden Stein einzeln auseinandersprengen muss, ich werde unseren kleinen Liebling schon finden.«
»Nicht, wenn ich es verhindere«, murmelte ich.
Der Kanzler lachte. »Oh bitte, versuchen Sie es nur.«
»Das werde ich«, rief ich, presste die Kiefer aufeinander und bemerkte im selben Augenblick die beiden Seile, die am hinteren Ende des Zeppelins herabhingen wie die Tentakel einer Tiefseequalle. Mir fiel wieder ein, wie Marian zu so einem Seil hingehechtet war und verlangt hatte, ich solle es ihm nachtun. »Ehrlich gesagt hast du diese Art des Reisens erfunden«, hatte er mir erklärt. Für eine Sekunde schloss ich die Augen und betete, dass er nicht gelogen hatte.
Dann sprang ich.
19
MARIAN
Ich verfehlte das Seil nicht. Mit beiden Händen bekam ich es zu fassen, rutschte ein Stück daran hinunter, was höllisch in meinen Handflächen brannte, dann fand ich festen Halt. Mit all meiner Kraft klammerte ich mich daran und wartete ab, bis ich nur noch langsam hin- und herschwang. Der Wind war hier draußen viel schlimmer, als es von der Tür der Passagiergondel aus den Anschein erweckt hatte. Wie eisige Messer peitschte er mir ins Gesicht, zerrte an meinen Haaren und ließ meine Finger taub werden. Um die Lage zu sondieren, kletterte ich vorsichtig soweit am Seil hinunter, wie es ging. Noch stand der Zeppelin und ich wusste, dass ich abspringen musste, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Andernfalls würde ich vor Angst sicher sterben.
Direkt unter mir befand sich eine Straße. Von hier oben kam sie mir so weit entfernt vor wie der Marianengraben von der Meeresoberfläche. Ein Sprung musste tödlich enden und war dennoch meine einzige Option. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich die angrenzenden Häuser. Kein einziges von ihnen besaß ein Flachdach. Doch da war eines mit einer recht breiten Dachgaube. Es war riskant, alles hing von der veränderten Schwerkraft Eisenheims ab. Aber ich hatte keine Wahl.
Langsam begann ich, mit den Beinen Schwung zu holen, bis ich nicht länger von links nach rechts, sondern vor- und zurückpendelte.
Dann zählte ich bis drei.
Und ließ los.
Mein Kleid blähte sich im Wind und ich fiel wie ein Stein, allerdings doch langsamer, als ich erwartet hatte. Ich landete sogar auf dem richtigen Dach, jedoch etwa zwei Meter
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