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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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wie ausgewechselt. Sein Blick wurde hart wie Granit, seine Bewegungen versanken in einem Strudel von verwischten Konturen. Er warf den Langstab von sich, der mit einem Knall an der Wand über mir zerbarst. Wasser spritzte. Ich duckte mich, um nicht von den herabstürzenden Teilen getroffen zu werden, während Marian sich wie ein wildes Tier auf Katharina stürzen wollte, jedoch von Arkon zurückgehalten wurde, der wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war.
    Es war, als ob die mühsam unterdrückte Wut, die ich schon längst an Marian wahrgenommen hatte, mit einem Mal aus ihm hervorbrach. Ein Teil seines Wesens, den er sorgsam zu verbergen suchte.
    »Komm zu dir, Marian!«, rief Madame Mafalda. »Sofort!«
    Marian bäumte sich auf, wollte sich aus dem Griff des älteren Kämpfers befreien. Er heulte auf, trat um sich wie von Sinnen.
    »Aufhören!«, schrie Madame Mafalda und da durchzuckte es mich wie ein Blitz.
    Ich erinnerte mich.
    Zusammenhanglos zwar, doch ich tat es. Wie Nebelfetzen tauchten die Schemen in meinem Gedächtnis auf. Es war dunkel. Ich hörte meinen Atem, der fliehend ging, und Schritte auf kaltem Kopfsteinpflaster. Und da war ein Geruch, metallisch und schwer, gemischt mit etwas Süßem. Er umhüllte mich, wie ein Leichentuch, legte sich kratzend um meine Kehle.
    Dann war es vorbei.
    »Das ist jetzt schon das dritte Mal diese Woche. In letzter Zeit passiert es wieder häufiger«, sagte jemand und ich blinzelte. Vor mir sah ich Katharina, die blass, aber unverletzt auf Madame Mafalda einredete. Von Marian hingegen fehlte jede Spur und auch Arkon und die anderen beiden Kämpfer, die mit uns trainiert hatten, waren verschwunden. Madame Mafalda wiegte nachdenklich den Kopf, betrachtete Katharina einen Augenblick lang und erhob sich dann aus ihrem Stuhl.
    »Genug für heute«, verkündete sie. »Es wird Zeit, wir müssen ohnehin zur Sitzung im Marmorsaal.« Die Fettmassen ihres Körpers wogten, als sie den Raum verließ, schwer gestützt auf Katharinas Schulter.
    Nur langsam löste ich mich aus meiner Erstarrung, räusperte mich, wollte fragen, was geschehen war. Aber Madame Mafaldas Schritte waren längst verklungen, als es mir endlich gelang, einen Ton hervorzubringen. Und dann schwieg ich auch gleich wieder, denn aus dem Augenwinkel bemerkte ich plötzlich eine Bewegung. Ja, wirklich: Da war jemand. Und dieser Jemand kam näher, glitt durch die Schatten wie ein Geist, war nun bei mir, berührte mich. Ich erschrak. Es dauerte einen Moment, bis ich begriffen hatte, wer dort neben mir auf der Bank saß und meine Hand drückte.
    Es war Amadé.

8
DIE DAME
    Es war nicht weit bis zum Marmorsaal, in dem sich in dieser Nacht die »Verfechter der Freiheit des Schlafes« zusammenfanden, eine Art Geheimgesellschaft einiger Wandernder, die ihre monatlichen Treffen innerhalb der Mauern Notre-Dames abhielt. Viele Kämpfer des Bundes waren Mitglieder, aber auch zahlreiche Fremde scharten sich in dem vor Büsten und Statuen strotzenden Raum um eine lange Tafel, die man u-förmig in der Mitte des Saals aufgestellt hatte. Männer und Frauen mit ernsten Gesichtern, die über das Leid dieser Welt debattierten. Nichts Besonderes also, dachte ich, als Amadé mich dorthin führte und mir mit einem Nicken zu verstehen gab, ich möge mich setzen.
    »Ähm, hierhin?« Ich deutete auf einen schmucklosen Stuhl ohne Polsterung gleich neben der Tür, doch Amadé lächelte nur, zuckte unbestimmt mit den Achseln und verschwand so lautlos, wie sie vorhin aufgetaucht war.
    Bereits vor dem Dämmerungstraining hatte Fluvius Grindeaut angekündigt, dass ich der Sitzung der Gesellschaft beiwohnen sollte, um Eisenheim besser zu verstehen zu lernen. Und das wollte ich wirklich. Allerdings stand mir der Sinn im Augenblick nun wirklich nicht nach einer langweiligen Konferenz. Unruhig rutschte ich auf der Kante meines Stuhls hin und her. Anstatt hier zu sitzen und darauf zu warten, dass einer der verkniffen dreinblickenden »Verfechter« das Wort ergriff, wäre ich viel lieber durch die Kathedrale gestreift, um nach Marian zu suchen. Die kalte Wut in seinem Blick, der raubtierhafte Sprung, mit dem er sich auf Katharina gestürzt hatte – das Bild wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.
    Noch immer fragte ich mich, was um alles in der Welt ihn so zornig gemacht haben mochte. Ich wusste es nicht, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sein Ausbruch diesmal nichts mit mir zu tun gehabt hatte. Oder besser gesagt mit der Flora,

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