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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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schon nach wenigen Zügen.«
    Ich kicherte und eine neue Welle der Erinnerung schwappte über mich hinweg. Übermut schwang darin mit. Und das Gefühl zu fliegen. Glück. Ich spürte, wie Marian und ich uns an den Händen gehalten hatten, wie wir nebeneinanderher gehastet waren, uns auf leisen Sohlen in ein Zimmer schlichen. Immer wieder hatten wir innegehalten und einen Kuss getauscht. Eine schöne Erinnerung. Vertraut und fremd zugleich.
    Auch jetzt fühlte ich seinen Atem auf meinen Lippen, eine Hand an meiner Taille. Marians Haut spannte sich bleich über seinen Wangenknochen, wo diese unter seiner Maske hervorlugten. Sein Kehlkopf bewegte sich leicht, als er schluckte. Die plötzliche Nähe überzog mich mit einem Prickeln.
    »Was ist mit dem Sicherheitsabstand? Du weißt, ich bin immer noch ich. Wollten wir nicht einfach nur Freunde sein?«, murmelte ich.
    Marian lächelte. »Das ist zu anstrengend«, sagte er. »Und als wir gestern beim Nichts waren, da … habe ich es mir anders überlegt. Was ist mit dir?«
    »Es ist sogar viel zu anstrengend«, sagte ich und konnte gerade noch mein Glas auf einem Tischchen abstellen, bevor er mich auf die Tanzfläche zog.
    Die Musik umfing uns, doch ich achtete weder auf die Melodie noch auf meine Schritte. Auch die Schattenreiter hatte ich längst vergessen. Marian hielt mich, das war alles, was zählte. Mein Blick hatte sich hoffnungslos in seinem verheddert, war in die Tiefen seiner Iris getaucht und dort verloren gegangen. War es nicht im Grunde vollkommen gleichgültig, ob das, was ich für Marian empfand, meinen eigenen Gefühlen entsprang oder denen meiner Seele? Was auch gewesen sein mochte, jetzt hockte dieses Kribbeln in meinem Magen wie ein Ameisenhaufen. Jetzt brachte der Schwung von Marians Oberlippe mich dazu, dass ich meine Arme um seinen Nacken schlingen und ihn zu mir herunterziehen wollte.
    Marian strich mir über die Wange, sein Daumen zeichnete die Linie meines rechten Mundwinkels nach, während seine andere Hand meinen Rücken hinunterwanderte. Sein Gesicht kam näher. Noch näher. Schon meinte ich, die zarte Haut seiner Lippen auf meinen zu spüren, da ließ er mich plötzlich los, wirbelte herum. Würde er mich nun wieder von sich stoßen und sich entschuldigen?
    Doch dieses Mal war etwas anderes geschehen. Niemand tanzte mehr. Die Musik war verstummt. Eine der Türen hatte sich geöffnet, gebannt starrte die Menge auf die Samtvorhänge, die dahinter zum Vorschein gekommen waren und sich sacht bewegten.
    »Seine Hoheit, der Fürst«, verkündete ein Hofmarschall mit Halskrause. Seine Worte perlten von den Spiegelwänden des Saales ab und tropften in die Stille. Alle um uns herum sanken in eine Verbeugung und Marian und ich mit ihnen. Als Erstes sah ich deshalb die Füße des Fürsten, die in bestickten Pantoffeln steckten und sich beinahe behutsam über den Mosaikboden schoben. Der Saum eines Pelzmantels umspielte seine seidenbestrumpften Knöchel.
    »Seine Hoheit heißt Sie alle auf seinem Ball willkommen«, ertönte erneut die Stimme des Marschalls und die Gäste richteten sich wieder auf. Endlich sah ich nun auch den Rest des Fürsten. Er war groß und hager und erinnerte alles in allem auffallend an einen Geier. Unterstrichen wurde dieser Eindruck nicht nur von seinem fusseligen Haupthaar, sondern vor allem von der Amtskette, die auf seiner Brust schimmerte, so schwer, dass er leicht gekrümmt dastand, als würde er einen Mühlstein um den Hals tragen. Sein Gesicht verbarg er hinter einer mit Schuppen besetzten Maske, deren wulstige Lippen das Maul eines Fisches darstellten.
    Zögernd hob er eine Hand und ließ sie wieder sinken, gerade so, als wisse er nicht, was er sagen sollte. Durch die Gucklöcher seiner Maske warf er dem Hofmarschall einen Blick zu, dann sah er wieder auf die Menge, die ihn noch immer erwartungsvoll anstarrte.
    Hinter ihm betrat jemand den Raum und begann zu sprechen. »Seit einem Vierteljahrhundert herrscht unser geliebter Fürst nun über uns. Mit Strenge, Weisheit und Voraussicht lenkt er die Geschicke der Stadt, in der unsere Seelen einander Nacht um Nacht begegnen«, sagte der Kanzler, auf dessen Kopf ein Dreispitz thronte. Trotz des albernen Huts sah er erschreckend gut aus.
    »Niemals trifft er eine Entscheidung leichtfertig, stets hat er das große Ganze unserer Welt im Blick. Heute feiern wir einen weiteren Jahrestag seiner Thronbesteigung und wie in den vergangenen Jahren, so können wir auch dieses Mal nur Gutes

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