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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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fuhr Ludovico hastig fort, als er das zornige Gesicht seiner Schwester bemerkte.
    »Da tust du auch gut daran«, erwiderte Bianca hart, »sonst bleibt dein Geheimnis genauso wenig ein Geheimnis wie meines.«
    »Welches Geheimnis?«, fragte Ludovico gedehnt.
    »Dein Bartolomeo-Geheimnis. Was meinst du, was Mutter sagen wird, wenn sie erfährt, dass du deinen Seesack bereits gepackt hast?«
    »Jeder kann ein Reisegepäck packen, deswegen muss er es noch lange nicht benutzen«, sagte Ludovico aufsässig. »Gib eher Acht auf dich und dieses ›Pestkind‹.«

12. Gilgul
    Als Bianca eines Tages begann, einen Golem zu formen, und hoffte, diese Lehmfigur irgendwann mit heiligen Sprüchen zum Leben erwecken zu können, wenn auch nur in der Idee, als sie ihm in ihrem Zimmer einen Altar vorbereitete, war Crestina klar, dass es nun endgültig an der Zeit war, Gespräche zu führen. Gespräche mit Moise, mit Lea, mit ihren Söhnen. Dass sie auch Margarete um ihre Hilfe bitten musste. Wobei ihr von Anfang an klar war, dass sie vermutlich auf Gespräche mit Moise verzichten musste, da er sich inzwischen kaum mehr im Palazzo sehen ließ.
    Und Gespräche mit Lea zu führen, war nicht einfach, da es zu viel Sensibilitäten gab. Gilgul, zum Beispiel, war ein Thema, das sie sich nicht einmal vorsichtig anzuritzen traute, weil es sich in Sphären bewegte, die ihr völlig fremd waren. Wenn Lea mit Bianca über Gilgul diskutierte, verließ Crestina den Raum. Auch Moise schien ganz eindeutig von diesem Thema nicht unbedingt angetan.
    Als sie zum ersten Mal von diesem Gilgul erfuhr, konnte Crestina – sie saß mit ihrer Stickerei in einem Nebenraum – kaum glauben, was sie da hörte.
    »Sie rollen also in unterirdischen Gängen nach Jerusalem?«, hatte Bianca erregt gefragt.
    »Ja, genauso ist es«, hatte Lea mit aller Selbstverständlichkeit geantwortet und nebenher irgendwelche Karteikästen geordnet und Bücherverkaufslisten abgehakt.
    »Aber diese Gänge«, hatte Bianca zögernd gefragt, »wo verlaufen die denn? Wer hat sie gegraben? Und wie kann das sein, dass sie aus der ganzen Welt nach Jerusalem rollen? Ich meine, diese Knochen von den Toten?«
    »Du fragst zu viel, Kind«, hatte Lea abgewiegelt. »Wenn du zu uns gehören würdest, würdest du nicht so viel fragen. Du würdest einfach glauben, dass es so ist. Und es ist schließlich völlig gleichgültig, wer diese Gänge gegraben hat und wie das Rollen der Knochen vonstatten geht.«
    »Aber ich finde das alles unheimlich. Stell dir nur einmal das Durcheinander vor, wenn die Knochen tausender Toter von überall her durch diese Gänge rollen, die können doch kaum beieinander bleiben, die Knochen von einer Person. Und falls sie es doch tun, wie soll das vor sich gehen?«
    Lea hatte ihre Verkaufslisten zusammengeschoben und abrupt in den Korb gelegt.
    »Ich muss jetzt ins Ghetto zurück«, sagte sie dann entschieden. »Wir haben schon viel zu lange geredet.«
    Sie stand auf und blickte Bianca prüfend an.
    »Ich hoffe, dass du dir das alles noch mal ziemlich gründlich überlegst. Ich meine, das mit dem Übertritt. Du siehst ja, dass es da jede Menge Fragen gibt.«
    Bianca nickte irritiert.
    »Ich weiß«, sagte sie dann leise. »Ich weiß das schon. Ich bin ja auch bereits einmal abgewiesen worden.«
    »Dreimal«, sagte Lea streng, »du musst dreimal abgewiesen werden, dann erst hast du, möglicherweise, eine Chance auf einen Übertritt. Vorausgesetzt, deine Mutter ist mit der Sache überhaupt einverstanden.«
    »Sie ist ganz gewiss nicht einverstanden«, hatte Bianca zornig erwidert, »am liebsten würde sie mich auf den Mond wünschen, seit wir wieder hier im Land sind. Ich störe nur.«
    »Und es ist dir ja wohl auch klar, dass du keinerlei Gewissheit hast, dass dir Moise dann so einfach in den Schoß fällt, wenn du übertrittst. Es gibt noch immer diese Frau im Serraglio in Rom. Und nicht einmal ich weiß, wie ich es schaffe, sie aus seinem Kopf zu vertreiben.«
    Das einzige Mal, als Crestina Lea auf dieses Gilgul direkt ansprach, wehrte Lea achselzuckend ab. Die Vorstellung, ihre Knochen könnten eines Tages in unterirdischen Gängen gemeinsam mit Abrams Knochen gen Jerusalem rollen, war selbst für Leas blindgläubiges Gemüt irritierend. Wobei ihre Zweifel bereits da begannen, sich vorzustellen, wie Abram sich aus diesem Pestgrab mit tausend anderen Toten mit ihr vereinigen konnte.
    »Und ich weiß ja auch überhaupt nicht, wo ich eines Tages bleiben werde«, fügte sie

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