Stadt der blauen Paläste
die Uhr abgelaufen war. Sie tanzten weiter. Immer weiter. So lange, bis Renzo sie behutsam aus seinen Armen entließ und die Uhr ein zweites Mal aufzog. Sie empfand sich wie in Trance. Sie hatte einmal davon gelesen, dass solch ein Zustand eintraf, wenn man einen ganz bestimmten Wein getrunken hatte, in dem irgendetwas gelöst worden war. Aber sie war ganz sicher, dass Renzo nicht zu diesen Mitteln gegriffen hatte, um sie sich gefügig zu machen. Falls er das überhaupt beabsichtigte.
Sie standen nebeneinander an der Reling, als die Uhr zwölf schlug. Von der Stadt her hörte man die Geräusche des Festes, als würden sie wie mit einer gewaltigen Flutwelle noch einmal zu ihnen herüberbranden, so, als solle die Agonie dieses carnevale so weit wie möglich hinausgeschoben werden.
»Wir könnten in die nahe gelegene Kirche gehen«, schlug Renzo vor, »falls Ihr das wollt.«
Sie überlegte einen Augenblick, schüttelte dann den Kopf.
»Nein, ich möchte keinen anderen Abschluss dieser Tage. Tage, für die ich Euch sehr danke«, sagte sie dann entschlossen.
»Ihr entscheidet, ob es ein Abschluss ist«, erwiderte Renzo. »Dieses Schiff läuft am ersten Tag des neuen Monats aus. Nach Zypern. Es wird keine gefährliche Reise werden, wir fahren als Flottille mit Kauffahrerschiffen und bewaffneten Galeeren. Ihr müsstet also keine Angst haben. Falls Ihr mitkommen wolltet.«
Sie nickte, war sich jedoch nicht sicher, was dieses Nicken bedeutete. Ob es überhaupt etwas bedeutete oder ob sie sich nur die Antwort ersparen wollte, weil sie in diesem Augenblick ganz gewiss keine parat hatte.
»Ihr findet Eure Hängematte?«, fragte Renzo, als sie sich umwandten.
Sie nickte, lachte dann.
»Allein der Geruch wird mich in die richtige Richtung schicken. Ich habe noch immer das Salz in den Haaren.«
Er sagte nicht, dass er irgendwo oben in der Kajüte sei, falls sie Hilfe brauche, aber sie wusste, dass es so war. Sie hatte zuvor bereits von einem der Bullaugen aus die Wachen gesehen, die das Schiff behüteten. Also stieg sie in den Bauch des Schiffes hinab, da, wo es am meisten schaukelte. Sie stieg in ihre Hängematte, hatte zunächst Schwierigkeiten beim Hineinklettern und machte zweimalige Bekanntschaft mit dem Fußboden, bis sie endlich richtig lag. Im Schein der Kerze konnte sie ihr Kostüm liegen sehen. Der Fischschwanz der Meerjungfrau schimmerte silbern im Zwielicht, und die grünen Perlen des Kopfputzes glänzten wie Edelsteine.
Sie beschloss, in dieser Nacht keine Gedanken mehr daran zu verschwenden, ob sie mit dieser Flottille überhaupt irgendetwas zu tun haben wollte.
Und sie beschloss außerdem, dass sie kein Aschezeichen auf ihrer Stirn haben wollte.
Sie sah Renzo nicht mehr am anderen Morgen. Er habe das Schiff bereits in aller Früh verlassen, erklärte ihr der Matrose, der sie an Bord gebracht hatte und sie in den Salon führte, in dem ein Morgenessen auf sie wartete.
Er brachte sie in einer Gondel über die Lagune, ließ sie in der Nähe ihres Palazzos aussteigen.
Im androne, in jener halb zerstörten alten Gondel, lagen drei kleine lederne Masken auf einem Stück grünblauer Seide.
Sie erfuhr nie, wer sie dorthin gebracht hatte.
19. Limonaia III
Sie hatte sich entschlossen, zur limonaia zu fahren, bevor die Sonne am Himmel emporstieg.
Sie hatte gehofft, am Morgen nach Aschermittwoch eine Nachricht Renzos zu erhalten, aber der Briefbote hatte den Kopf geschüttelt. Er hatte den Kopf drei Tage hintereinander geschüttelt, dann hatte sie nicht mehr gefragt. Sie hatte auch den Zorn zugelassen, der sich langsam einstellte. Sie fühlte sich geprellt um etwas, von dem sie nicht wusste, was es war. Sie stellte sich Situationen vor, die hätten sein können: Renzo vor ihr auf den Knien liegend, um ihre Hand anhaltend, Renzo mit einem prächtigen Geschenk, so, wie er es vermutlich seinen Mätressen zum Abschied schenken würde, Renzo in der Kleidung eines Piraten, wie er über die Meere fahren würde.
Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass diese Bilder falsch waren. Es war nicht ein einziges Wort darüber gefallen, das auch nur in eine dieser Richtungen hätte führen können. Und beim Überdenken des letzten Bildes kam sie sich mehr als lächerlich vor, auch wenn diese Dinge, wie der Raub von irgendwelchen Frauen auf den Meeren, zu den selbstverständlichen Dingen in ihrer Zeit gehörten.
Als sie acht Tage nichts gehört hatte, beschloss sie, diesen seltsamen carnevale zur Seite zu schieben und ihn
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