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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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auch noch nach Monaten Ängste ein. Selbst wenn sie einen der zahlreichen Diener als Schutz bei sich hatte. Es war ein Schutz, der keinesfalls immer zuverlässig war. Da sie seine Sprache nicht kannte, gelang es ihr auch keinesfalls, ihm klar zu machen, dass es seine Pflicht erforderte, bei ihr zu bleiben, sie vor Bettlern und Dieben zu behüten. Die meiste Zeit auf diesen Stadtgängen verbrachte sie damit, diesen Diener wieder aufzufinden, bevor sie sich in dem Gewirr von Straßen und engen Gassen heillos verlaufen hatte.
    Das Einzige, was sie in dieser Stadt von Anfang an fasziniert hatte, war die Karawanserei. Hier trafen sich die Ankommenden, hier gingen die Abreisenden auseinander. Hier gab es Lagerhäuser, Rasthäuser, Herbergen, Ställe für die Tiere. Wobei sie sich am meisten für die Kamele interessierte, die hier meist gegen die Pferde eingetauscht wurden, weil sie auf den weiteren Wegen nicht mehr nützlich waren. Viele der Wege führten nach Jerusalem. Ein Kamelhengst, an dem ganz offensichtlich niemand der Weiterreisenden Gefallen gefunden hatte, da sie ihn über Tage hinweg einsam in seinem Pferch stehen sah, gefiel ihr. Sie verliebte sich in seine Augen. Sie brachte ihm Karotten mit, streichelte seine Nüstern, sprach mit ihm. So lange, bis eines Tages einer der Kaufherren, die in der Karawanserei abgestiegen waren, sie lächelnd ansprach.
    »Ich würde Euch empfehlen, vorsichtig zu sein, er ist zurzeit brünstig. Er beißt.«
    Sie bedankte sich höflich, ließ sich aber auch in Zukunft nicht davon abhalten, sich in der Sänfte hierher tragen zu lassen, mit diesem Kamelhengst zu reden und ihm Leckerbissen mitzubringen.
    Die Kirche der heiligen Sophia, die inzwischen natürlich längst zur Moschee geworden war, besuchte sie selten. Sie konnte für sie kein Gotteshaus sein zum Beten. Die Höhe dieser Moschee, ihre Weite, ihre Fremdheit ließen sie frieren. Aber sie schwieg über ihre Eindrücke den Frauen gegenüber, mit denen sie zusammentraf und mit denen sie nicht nur diese Sultansgespräche hatte, sondern selbstverständlich auch Frauengespräche: Wie Kinder auf die Welt kamen, wie man verhindern konnte, dass sie diese Welt zu rasch wieder verließen. Und vor allem, was man dagegen tun konnte, dass sie zu häufig kamen – was das wichtigste Gespräch war.
    Ihre Geburten waren keine leichten. Und all die Geschichten, die ihr Frauen erzählt hatten, waren keinesfalls übertrieben gewesen. Sie waren so, dass sie sich bereits bei dem ersten ihrer Kinder überlegte, ob sie noch weitere haben wollte: Sie hatte zwei Fehlgeburten, eine Tochter starb kurz nach der Geburt und die Krankheiten der Kinder, die am Leben blieben, hielten sie in Atem.
    Und manchmal hatte sie das Gefühl, dass ihr Leben, das sie zuvor geführt hatte, ein Leben mit Horaz und Ovid und Riccardo, bei weitem angenehmer gewesen war als dieses Eheleben mit Renzo, unabhängig ob hier in Konstantinopel oder in irgendeiner anderen Stadt.

5. Das ›Pestkind‹
    »Was um alles in der Welt soll das?«, fragte Crestina entrüstet und starrte zu der Tür, die in das Kaminzimmer führte, in dem sie mit einem Gast zusammensaß und Kakao trank.
    Im Türrahmen stand eine Gestalt mit einem schwarzen Umhang und der Maske mit der spitzen Nase, die in den Pestzeiten die Pestärzte trugen.
    »Es sind schon wieder Tauben durchs Dach geflogen und haben den Teppich im Studio beschmutzt, und Clemens war wütend, weil auch seine Bücher darunter gelitten haben und Ludovico«, Biancas Wortschwall unter der Maske wurde langsamer, undeutlicher, ohne jedoch abzubrechen. Dabei blieb ihr Blick durch die Augenschlitze unbeirrt weiter auf dem Mann haften, der mit ihrer Mutter zusammen in der sala an einem kleinen Tisch saß und Kakao trank.
    »Ich wusste nicht, dass du Besuch hast«, sagte sie schließlich und nahm die Maske ab, dabei jedoch noch immer die Augen weiterhin auf den Besucher gerichtet.
    Der Fremde stand lächelnd auf, streckte Bianca die Hand entgegen.
    »Genau genommen bin ich kein Besuch«, sagte er dann amüsiert, »aber Ihr habt mich noch nicht kennen gelernt. Ich bin –«
    »Ihr seid …«, Bianca stockte, sah dann ihre Mutter fragend an.
    Der Fremde lachte.
    »Nun getraut es Euch schon zu sagen: Leas ›Pestkind‹ von einst.«
    »Ich wusste nicht, dass Ihr im Haus seid«, sagte Bianca verlegen, »sonst hätte ich Euch gewiss nicht mit unseren Taubengeschichten belästigt, die Euch kaum interessieren werden. Und Euch außerdem mit dieser Maske

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