Stadt der blauen Paläste
starrte ihre Tochter an.
»Von Jacopo wirst du ganz gewiss kein vulgare lernen, schon sein Onkel, der damals in unserem Haus diente, achtete darauf, dass ich das Richtige hörte und lernte.«
»Natürlich. Vergil, Cicero und Horaz«, spottete Bianca. »Man könnte meinen, dass es unseren Vater, bei dem du diese hehren Dinge nicht gelernt hast, nie gegeben hat. Und man könnte ebenfalls glauben, dass Riccardo auch heute noch nicht tot ist. Kaum bist du in dieser Stadt, wird er wieder lebendig. Und sei es nur dadurch, dass alles gilt, was er dir früher beibrachte. Ich warte nur darauf, bis auch wieder dieser seltsame Bartolomeo von den Toten im Canale Orfano aufersteht.«
»Aus dem Canale Orfano kehrt keiner mehr zurück«, erwiderte Crestina abweisend, »nicht einmal Bartolomeo.«
6. Das ›Hohe Lied‹ Salomos
»Ich hätte dich fast nicht gefunden«, sagte Crestina, als sie ein paar Tage später in Margaretes Wohnräume hinabstieg. »Es riecht heute nach gar nichts.«
Margarete kam ihr lachend entgegen, wedelte mit einem stark riechenden Streifen Papier vor ihrer Nase und öffnete dann die Tür zu ihren Räumen.
»Wenn du ein paar Minuten später gekommen wärst, hättest du mich ganz gewiss gefunden.«
»Du meinst, deine beiden Helferinnen hätten dann schon dafür gesorgt?«
Margarete deutete zu einer kleinen Kammer hinüber und bat Crestina zu sich.
»Sie sind heute völlig zahm«, sagte sie dann leise, »und machen nur brave Arbeiten.«
Die beiden Mädchen saßen auf dem Boden, und während die eine mit einem Spatel Creme aus einem großen Topf in kleine Döschen füllte, beklebte die andere sie mit bunten Aufschriften.
Crestina grüßte freundlich, aber die Mädchen blickten nicht hoch.
»Sie sind nicht gerade höflich«, sagte Crestina irritiert.
Margarete lachte.
»Sie wissen ja auch nicht, wer du bist.«
»Wieso?«
»Nun, in diesem Haus gibt es nur wenige Personen, die man kennen muss, und da klar ist, dass dies nicht mein Palazzo ist und du über Jahre nicht anwesend warst, ist die logische Folgerung, dass die Besitzer andere Leute sein müssen.«
»Du meinst Lea?«, fragte Crestina verblüfft.
Margarete lachte.
»Natürlich Lea. Und dann gibt es noch Moise, der in ihren Augen so etwas wie ein Stammeshäuptling ist, und den sie verehren wie eine Gottheit. Vor allem, weil er lesen und schreiben kann. Und das kann nur eine von ihnen gerade ein bisschen, wie du ja offenbar schon festgestellt hast.«
Crestina hängte ihren Schal an einen Haken und sah sich um.
»Ich wollte mich erkundigen, wie es dir in all den Jahren ergangen ist und wie weit du deine Ideen verwirklichen konntest. Damals, als ich abfuhr, hast du gerade dein erstes Parfum entwickelt. Aber jetzt«, Crestina trat eine Stufe hinunter in einen anderen Raum, »jetzt sieht es natürlich nach etwas ganz anderem aus. Fast scheint es so, als hättest du deine Duftpalette ins nahezu Unendliche erweitert.«
»Ja, ja, ich weiß«, gab Margarete zu. »Damals hatte ich lediglich den Wunsch, mir mithilfe der Düfte ein Leben aufzubauen, das mich unabhängig machen sollte. Ich wollte einen Beruf, der mir Freude bringen würde, mir ganz allein. Inzwischen ist etwas mehr daraus geworden. Und manchmal ist mir die Verantwortung für alles schon fast zu viel.«
Das, was Crestina nun in den weit geöffneten Nebenräumen des Untergeschosses vor sich sah, erinnerte sie an vornehme Geschäfte in Florenz oder Mailand, die sie früher irgendwann einmal mit ihrer Mutter zusammen besichtigt hatte, als sie noch die Hoffnung hatte, ihre Tochter von ihren Büchern wegzulocken. Und es war auch ganz gewiss nicht nur eine Fülle der unterschiedlichsten Parfüme, deren Flakons in den diversen Regalen standen, es war einfach alles, was damit zu tun hatte: Tiegel mit stark duftenden Salben, Seifen, bemalte Alabastrongefäße und Deckelgefäße für Duftöle, Honigpackungen für stumpfes Haar, Mandelpaste für die Hände, Badesalz und vieles, von dem sie noch nie gehört hatte. Sie betrachtete die ausgestellten Kostbarkeiten, dann drehte sie sich abrupt zu Margarete um.
»Ist das also das, wovon du geträumt hast, was du dir immer vorgestellt hast?«
»Nun, ich habe das erreicht, was ich mir einst wünschte. Vor allem wollte ich keine Abhängigkeit mehr von Familie und Faktor, das war das Wichtigste. Und ich wollte –«
Crestina unterbrach.
»Aber da war doch noch ein Faktor, als wir ankamen, oder etwa nicht?«
»Das stimmt schon, aber er untersteht
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