Stadt der Blumen strava3
einfach nur, weil es höflich schien.
»Nein«, erwiderte Sulien. »Er stammt auch aus deiner Welt und du hast sogar wahrscheinlich schon von ihm gehört.«
Gaetano di Chimici stand in der Loggia auf der Piazza Ducale, und wo er auch hinsah, entdeckte er Zeugnisse des Einflusses seiner Familie auf diese Stadt, die er liebte. Die Chimici hatten den Regierungspalast erbaut, der den Platz dominierte, sie hatten die Säulen errichtet, die an legendäre Siege erinnerten, und sie hatten die Zunftgebäude erbaut, in deren Erdgeschoss die Handwerksbetriebe lagen. Silberschmiede und Schmucksteinjuweliere übten hier ihre Kunst aus und dazwischen auch die weniger bedeutenden Goldschmiede.
Überall in der Stadt wurden schlechte Gebäude abgerissen und durch prächtige Bauten, Säulen, Plätze und Statuen ersetzt. Und all das war das Werk seines Vaters, der die Tradition seiner Vorfahren fortführte. Ein Teil von Gaetano konnte nicht anders als stolz darauf zu sein. Aber er wusste ebenso, wie sehr das allgegenwärtige Familienwappen mit Blut besudelt worden war – bei der Jagd auf zusätzliche Gebiete und dem Kampf gegen die Nucci. Und was er nicht genau wusste, konnte er zumindest erahnen.
Ja, selbst Jacopo, der freundlichste und liebenswürdigste der Vettern Niccolòs, hatte nur wenige Straßen von hier entfernt einen Mord begangen! Onkel Jacopo, wie sie ihn nannten, der die kleinen Prinzen eigenhändig mit Gebäck gefüttert hatte und der geweint hatte, als sein Lieblingsjagdhund gestorben war! Nicht zum ersten Mal wünschte Gaetano, in eine Familie von Schäfern oder Gärtnern geboren zu sein.
Dann hätten er und Francesca eines Morgens in der Frühe aufstehen und sich den Treueid in einer rosengeschmückten Dorfkirche leisten können. Er lächelte, als er sich seine schöne Cousine, seine große Liebe, in einem einfachen Kleid und mit Blumen im Haar vorstellte. Was für ein Unterschied zu der bevorstehenden prunkvollen Hochzeit in der riesigen Kathedrale, auf die eine große Prozession folgen sollte!
Gaetano beschloss zum Kloster Santa-Maria-im-Weingarten zu gehen und den Mönch aufzusuchen, von dem ihm sein Freund Luciano berichtet hatte. Angeblich sei er ein Stravagante – wie Luciano selbst und auch sein Lehrmeister Rodolfo.
Im Gegensatz zu seinem Vater war Gaetano kein Feind der Stravaganti; er glaubte sogar, dass sie möglicherweise die einzigen Menschen waren, die das Unheil abwenden konnten, das er aufziehen sah.
»Lucien Mullholland?« Sky konnte es nicht glauben. »Aber er ist doch gestorben
– vor zweieinhalb Jahren. Er kann nicht hier in der Stadt sein.«
»Noch nicht«, sagte Sulien. »Er wohnt in Bellezza. Aber er wird die Duchessa auf die Hochzeiten begleiten. Du wirst ihn treffen. Und feststellen, dass er hier in Talia sehr wohl am Leben ist.«
Sky setzte sich auf eine niedrige Mauer. Er erinnerte sich an Lucien – einen schmalen Jungen mit schwarzen Locken, der zwei Klassen über ihm gewesen war. Er konnte sich auch noch vage daran erinnern, dass Lucien gut im Schwimmen und in Musik gewesen war, aber das war schon alles. Näher hatte er ihn nicht gekannt, und als der Direktor der versammelten Schule eines Morgens mitgeteilt hatte, dass Lucien gestorben sei, hatte er nur den Schock empfunden, den jedermann empfindet, wenn er vom Tod eines so jungen Menschen hört.
Aber jetzt wollte man ihm weismachen, dass dieser Mensch keineswegs tot war, sondern in einer anderen Welt lebte, irgendwo in der Vergangenheit, und dass er, Sky, ihm begegnen sollte. Das war einfach zu absurd!
Während er sich umsah, bemerkte er, dass er und Sulien nicht die einzigen Bewohner Giglias mit dunkler Hautfarbe waren. Es gab zwar nicht viele, aber immerhin doch ein paar. Das kam ihm seltsam vor, wenn es sich hier um das Italien wer weiß welches vergangenen Jahrhunderts handelte. Obwohl Sky im Leistungskurs Geschichte war, stellte er fest, dass er nur eine ungenaue Ahnung vom Leben im Italien der Renaissance hatte. Außerdem musste er sich daran erinnern, dass es ja gar nicht Italien war. Immerhin war er froh, dass man ihm keine argwöhnischen Blicke zuwarf, abgesehen von einem zerlumpten Jungen, der offenbar ziellos bei den Essensbuden herumlungerte.
Der Junge fing seinen Blick auf und kam auf ihn und Sulien zu.
»Gott zum Gruß, Brüder«, sagte er.
Sky wusste, dass der Junge ihn wegen seiner Kutte so anredete, aber er erschrak dennoch.
»Sandro«, stellte sich der Junge vor, nickte Sulien zu und streckte Sky die
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