Stadt der Engel
Trifonow behauptet, daß die Libido des Schreibens sich zum Alter hin abschwächt, sagte ich, aber ich bekam nur die harsche Antwort, das sei nichts als eine Ausrede, anscheinend dächte ich immer noch an ein Publikum, anstatt, wie es nötig wäre, mir einfach über mich selbst Klarheit zu verschaffen und nur für mich zu schreiben, und ich, wie immer in solchen Fällen, wollte zuerstwidersprechen, aber dann sagte ich zu meiner Überraschung einfach ja und genoß es, nachzugeben. The overcoat of Dr. Freud, sagte ich. – Wie bitte? – Ach nichts. – Kommst du darauf wegen der Libido? – Nein, aber: wäre das ein guter Titel? – Das käme darauf an.
Worauf denn? Darauf, daß der Weg in die Unterwelt gelingt: Der Eingang in die Unterwelt ist eine Wunde, erfuhr ich. Die Bewegungsart: Langsames Zurücktasten ins Dunkle. Ein Tunnelgefühl. ich muss hinuntersteigen in diesen schacht. Aber mußte ich das wirklich? Oder war es wieder nur eine Pflichtübung. ein fremder mensch blickt mir da entgegen. Aber stimmte das überhaupt?
Warum sind Sie bei der Fahne geblieben? Das Hotel. Das Interview zur Person, die Aufregung, die Lampen. Die Antwort war noch nicht fertig, eine Teilantwort konnte ich geben: Es war die Hoffnung, daß diejenigen, die vielen, die, wie ich glaubte, so dachten wie ich, sich mit der Zeit durchsetzen würden. Weil es nicht anders sein konnte. Weil sonst dieses Land und alles, was es für uns verkörperte, zugrunde gehen würde. Weil es für uns keine Alternative gab. – Ich wußte: Die Frage würde über die Jahre mit mir gehen.
Abends aßen wir mexikanisch, die Hochspannung war der Erschöpfung gewichen, ich konnte meine Zunge nicht hüten, warf dem Freund, der mich, wie angekündigt, »ohne Rücksicht« befragt hatte, seine Überlegenheit vor, der sagte: Jetzt haben Sie mich aber beleidigt, da brach ich in Tränen aus.
Am nächsten Tag fuhren wir, zuerst in strömendem Regen, zum Sunset Boulevard, bogen in den Paseo Miramar ein, hoch zur Villa Aurora, Feuchtwangers Wohnsitz, an dem nach dem Tod von Marta Feuchtwanger gebaut wurde, wir konnten auf der Terrasse stehen und bewundernd über das Meer blicken, ich konnte dem Freund erzählen, wie es im Innern des Hauses ausgesehen hatte mit all den kostbaren Büchern. Wir saßen dann an der Küste von Malibu eine Weile auf einer Bank in der Sonne, die gegen Mittag aufgezogen war, und fühlten unswohl. Der Freund sagte: Man hält mich bei uns jetzt für einen Ultralinken, dabei habe ich mich gar nicht verändert, aber mein Land ist mit unglaublicher Geschwindigkeit nach rechts an mir vorbeigezogen. Und ich dachte: Warum sollen die sich eigentlich immer nur mit unseren Problemen befassen, warum sollen nicht einmal wir uns auch für ihre Schwierigkeiten interessieren.
Wir fuhren dann noch mal den ganzen Sunset Boulevard hinauf und fingen an zu singen. Wir sangen »Wacht auf, Verdammte dieser Erde«, und »Wenn wir schreiten Seit an Seit«, und »Spaniens Himmel breitet seine Sterne« , »Und weil der Mensch ein Mensch ist«, und »Madrid, du wunderbare«, und »Durchs Gebirge, durch die Steppe zog unsre kühne Division« und »Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum«, der Freund kannte die Lieder alle, ich wollte wissen, woher. Was denken Sie denn, sagte er, als ich vor 1961, vor dem Mauerbau, in Berlin war, bin ich immer zu euch rübergegangen und habe mir die Ernst-Busch-Platten gekauft.
Abends saß ich allein in meinem Apartment und trank den Lufthansa-Wein, den der Freund mir dagelassen hatte, und las in Thomas Manns Tagebüchern: Pacific Palisades – wenige Kilometer von mir entfernt – Sonntag, den 4. Dezember 1949. In diesen Tagen viel leidende Begierde und Nachsinnen über ihr Wesen und ihre Ziele, über erotische Begeisterung im Streit mit der Einsicht in ihr Illusorisches. Das höchste Schöne, behauptet als solches gegen eine Welt, ich würde es nicht anrühren wollen. … Über das alles bekennend zu schreiben, würde mich zerstören.
Ich setzte mich an mein Maschinchen und schrieb:
nun ist ja schreiben ein sich-heranarbeiten an jene grenzlinie, die das innerste geheimnis um sich zieht und die zu verletzen selbstzerstörung bedeuten würde, aber es ist auch der versuch, die grenzlinie nur für das wirklich innerste geheimnis zu respektieren und die diesenkern umgebenden, schwer einzugestehenden tabus nach und nach von dem verdikt des unaussprechlichen zu befreien. nicht selbstzerstörung, sondern selbsterlösung. den
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