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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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verbotenen Schriftsteller, auf dem er heimlich seine Manuskripte anbot, nur wenig Geld, aber er schrieb, schrieb, schrieb, sagte seine Witwe, und sie hatte die Last des Haushalts und der Kindererziehung, denn sie fand ja keinen Job, solange sie nicht bereit war, sich von ihrem Mann zu trennen und seinen Namen abzulegen, sie mußte sich daran gewöhnen, daß man aufstand und wegging, wenn sie sich neben jemanden setzte, und daß die Nachbarn ihre Kinder nicht mit denen der Trumbos spielen ließen. Zehn Monate war ihr Mann im Gefängnis wegen Verachtung des Komitees für Unamerikanische Umtriebe, sie war zugleich wütend und voller Angst um die Zukunft ihrer Familie, sie tippte die Endfassungen der Manuskripte ihres Mannes, die er dann unter verschiedenen Pseudonymen in ein Hollywood-Netzwerk einschleuste, ein Freund fand sich bereit, als storywriter für einen Film zu fungieren, den in Wirklichkeit Trumbo geschrieben hatte und der einen Oscar gewann.
    Genau wie in der Tschechoslowakei, dachte ich, nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten: Übersetzer, denen das Publizieren verboten war, fanden Kollegen, die ihren Namen hergaben für den Text der anderen. Unter ähnlichen Pressionen schienen sich ähnliche Verhaltensweisen und ähnliche Formen der Solidarität herauszubilden. Ich versank in Erinnerungen.
    Natürlich hatten deine tschechischen Übersetzer-Freunde deine Bücher nicht mehr unter ihrem Namen übersetzen können, sie gehörten zum engeren Kreis der Dissidenten, es fand sich ein slowakischer Germanistikprofessor, der ihnen seinen Namen gab und nicht eine Krone dafür verlangte, natürlich wußte der Verlagslektor Bescheid, aber sonst, dachtest du, durfte niemand es wissen, das sagte ich, als ich nach der »Wende« zum ersten Mal wieder in Prag lesen konnte, da kamen nach der Lesung viele Zuhörer zu mir und sagten lachend: Aber das haben wir doch alle gewußt!
    Das war mir nun überhaupt kein Trost, daß hüben wie drüben widerständige Meinungen geahndet wurden. Daß die scheinbar tief gespaltene Welt sich in ihrer tiefsten Tiefe aus einer Wurzel speiste, also noch bedrohlicher war, als die meisten von uns es glauben wollten.
    Mein Name ertönte, ich holte mein chickensalad sandwich und den sparkling apple juice, tat die Zeitung beiseite und wollte anfangen zu essen, da fühlte ich einen Blick auf mir liegen. Drei Meter von mir entfernt saß, jenseits des Bürgersteigs, eine sehr junge schwarze Frau auf dem Rand einer großen steinernen Blumenschale und sah mich unverwandt an. Nach ihrer Kleidung konnte sie zu den homeless people gehören. Ich war mir nicht sicher, da wenige Schritte von ihr entfernt eines jener Wägelchen stand, die man zum Markteinkauf verwendete, und darin waren säuberlich einige Pakete geschichtet. Sie hat Hunger, dachte ich, und mein erster Impuls war, ihr mein Sandwich anzubieten, von dem ich aber inzwischen schonabgebissen hatte. Wie konnte ich essen unter diesem Blick, der sich übrigens manchmal nach oben verdrehte, so daß ich nur noch das Weiße in ihren Augen sah. Sie hatte ihre Haare zu vielen dünnen Zöpfen geflochten und am Hinterkopf zu einem Busch zusammengebunden, einige der Strähnen waren etwas heller gefärbt als die übrigen, schwarzen. Sie trug einen dicken roten Anorak bei der Hitze, sie beschäftigte sich mit den Perlenschnüren an ihrem linken Handgelenk, und von Zeit zu Zeit stieß sie ein höhnisches Lachen aus, oder sie wurde von einem höhnischen Lachen gestoßen. Ich aß also und nahm mir vor, ihr Geld zu geben, wenn ich später an ihr vorbeiginge, aber woher wußte ich, daß sie Geld haben wollte, woher wußte ich, daß sie es nicht zurückweisen würde, mit dem gleichen höhnischen Lachen. Woher wußte ich überhaupt, daß ihr Blick mich sah, da sie doch offensichtlich psychisch krank war. Ich gab ihr nichts, als ich an ihr vorbeiging, mich vorbeidrückte, ich gab das Geld zwei Männern, die auf verschiedenen Bänken saßen und jeder ein Schild vor sich hinhielten: HOMELESS AND HUNGRY, und die einen Pappbecher für die Münzen vor sich hingestellt hatten. Auf dem Rückweg mied ich die Stelle, an der vielleicht immer noch die Frau höhnisch lachend auf dem Rand der Blumenschale saß, ich wußte, daß ich sie nicht vergessen würde, aber was nützte ihr das.
    In der Midnight-Special-Buchhandlung suchte und fand ich die Bücher von Art Spiegelman, die man mir ans Herz gelegt hatte: MAUS. Das Schicksal einer – des Autors – jüdischen Familie, in

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