Stadt der Engel
Cartoons dargestellt: Die Juden als Mäuse, die Deutschen als Katzen, ein riskantes Wagnis. Es seien die traurigsten Mäuse, die je gezeichnet wurden, hatte die Frau gesagt, die mir die Bücher empfohlen hatte und die selbst zu denen gehörte, von denen sie handelten: A SURVIVOR’S TALE war der Untertitel. Ich traf hier Menschen, die sich selbst als survivors definierten, Überlebende des Holocaust, wie auch jene Frau, Agnes, die mich wenige Tage später wieder zu einem Treffen von Angehörigen der »second generation« abholen sollte.Ü b e r lebende. Nicht Lebende, sagte sie. So sehen sich manche von uns immer noch, wie unsere Eltern.
Auf dem Titelbild des ersten Bandes von MAUS war ein aggressives schwarzes Hakenkreuz, in dessen Zentrum ein zu einer Hitlerfratze stilisierter Katzenkopf, darunter, im Schatten des Hakenkreuzes hingekauert, ein als Flüchtlinge erkennbares Mäusepaar. Ich las dann nachts, immer wieder weinend, in diesem Buch.
Ich überquerte den Wilshire Boulevard, rechterhand auf der Third Street war die kleine Reinigung, in die ich meine Seidenblusen gab, die ich billig gekauft hatte. Die freundliche Koreanerin kannte mich inzwischen, sie nannte mich beim Vornamen, ich mußte ihr meine Adresse nicht mehr diktieren, sie werde Tränen vergießen, wenn ich abreisen würde, behauptete sie. Sie arbeitete Tag für Tag zwölf Stunden in diesem lichtlosen stickigen Raum zwischen der von der Decke herunterhängenden gereinigten Kleidung. Nach der California Avenue kam der Block, an dessen Ende das ms. victoria lag, die Straße war von fremdartigen Bäumen gesäumt, die eines Tages tausende von intensiv roten Blüten in Form von Flaschenbürsten entfalteten, und ich freute mich, als ich erfuhr, daß diese Bäume wirklich bottle brush trees hießen.
Was noch? Ich halte ein. Ich kämpfe mit den Zeiten. In den Papierstapeln, die ich über den Ozean mit nach Europa gebracht habe, herrscht natürlich die Gegenwartsform. Immer wieder vergesse ich, das, was ich den verschiedenen Fassungen entnehme, in die Vergangenheitsform zu übersetzen. Das alles, was ich jetzt beschreibe, ist Vergangenheit: Der Tag, an dem wir endlich unser Vorhaben ausführten und in den Süden, nach San Diego, fuhren, wo ich an einem Kiosk für mexikanische Kunst die Holzschlange kaufte, der einige Glieder fehlten, die jetzt auf meinem Schränkchen mit Erinnerungsstücken liegt und mich an den Dialog mit der Verkäuferin erinnert. Sie wollte mir die Schlange nicht verkaufen: It is broken! sagte sie. Und ich: Doesn’t matter, I am broken, too. Sie gab mir dieSchlange mit einem Preisnachlaß. Broken. Ein treffender Ausdruck. Meine Kollegen, die nach Südkalifornien mitgekommen waren, bemerkten, daß meine Stimmung sich aufgehellt hatte, als wir später an einem langen Tisch bei »Alfonso« saßen und seine mexikanische Küche genossen, gegrillte Shrimps und Steaks oder Tortillas und rote Bohnen
Dann habe ich lange im Museum vor dem Medea-Kleid der Jana Sterbak gestanden: Ein Frauenkörper, aus Draht geflochten, umgeben von einer Installation aus elektrischen Drähten, die an eine Steckdose angeschlossen waren und die ständig aufglühten, für kurze Zeit erloschen, wieder aufglühten. Alles brannte auf der Haut dieser Frau, das Leben brannte auf der Haut der Frau, es war ja das Kleid, das Medea der Glauke gegeben haben soll, der Nebenbuhlerin, und das deren Haut verbrannte. Auf einer Projektionsfläche erschien ein Text, den ich mir abschrieb:
I want to feel the way I do. There’s barbed wire wrapped all around my head and my
skin grates on my flesh from the inside. How can you be so comfortable only 5 feet to
the left of me? I don’t want to hear myself think, feel myself move. It’s not that I want
to be numb. I want to slip under your skin. I will listen to the sound you hear, feed on
your thought, wear your clothes.
Now I have your attitude and you’re not comfortable anymore. Making them yours
you relieved me of my opinions, habits, impulses. I should be grateful but instead …
you’re beginning to irritate me. I am not going to live with myself inside your body,
and I would rather practice being new on someone else.
Die Frau mit ihrer brennenden Haut, die in meine Haut schlüpfen möchte, um mich fühlen zu lassen, was sie fühlt, um von ihrem Schmerz befreit zu sein, und die sich doch nicht heimisch fühlen kann im Körper einer anderen. Bekannte Sehnsucht. Bekannte Enttäuschung.
Das Treffen der »second
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