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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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zur Gewalt gegen sie gegeben hatte. (»In diesen Nächten ist eine Krankheit dieser Gesellschaft aufgebrochen.«) Wenig später hat es eine solche Kommission gegeben.

    Als Peter Gutman kam, nicht angekündigt, aber erwartet, es ging auf Mitternacht zu, gab ich ihm den Brief zu lesen, den ich als Antwort für meinen Freund entworfen hatte. (»Aus Fehlern lernen ist die schwerste Art zu lernen, um wieviel leichter ließe es sich lernen aus Gelungenem, das aber war uns nicht vergönnt.«) Er schwieg dazu, allmählich wußte ich, was sein Schweigen bedeutete, aber es störte mich nicht. Ich sagte, ich will wissen, was damals los war mit mir.
    Also hör mal zu, sagte Peter Gutman. Der Fall liegt ziemlich einfach: Du wolltest geliebt werden. Auch von Autoritäten.
    Die sehr frühe Kindheitsangst vor der dicken Schlange, die nächtlich vor deinem Bett lag, so daß du unter gar keinen Umständen aus dem Bett steigen konntest, ohne auf diese eklige Schlange zu treten und von ihr gebissen zu werden. Aber was hatte diese Schlange zu tun mit deiner Angst vor der Lüge, oder vor der Entdeckung, oder vor der Mutter, die dir diese Angst eingeimpft hatte, die Mutter belügen als das schlimmste Vergehen, »Gott sieht alles«, die Geschichte von dem Mann, dem die Hand aus dem Grab wächst, brachtest du ganz alleine in einen Zusammenhang mit der Urlüge, der Lüge gegenüber der Mutter, da wurde dir das Grauen eingepflanzt, da das schlechte Gewissen und die Gewissensangst (»Hab ich Unrecht heut getan, sieh es lieber Gott nicht an«), da die Selbstzweifel als Brutstätte neuer Angst und verzweigter Ängste, da auch der Hang oder Zwang, vollkommen und untadlig zu sein, in Übereinstimmung mit den Autoritäten. Von ihnen geliebt zu werden. Um die tiefste Angst, die vor dem Verlust der Mutterliebe, zu vermeiden.
    Nun, Madame, sagte er. Da warst du nicht die einzige. Übrigens bist du jetzt ziemlich tief in den Mantel des Dr. Freud reingekrochen.

    An einem der nächsten Abende die Abenteuerreise zu dem Haus von Karl, dem Fotografen deutscher Herkunft, der in einem Vogelnest in den Hügeln lebte, direkt unter den vor den Felsen aufgestellten Riesenbuchstaben HOLLYWOOD, dem Wahrzeichen der Stadt, das man von Karls Fenstern aus erschreckend nahe sah, so wie man von der anderen Fensterfront das ganze riesige flimmernde Los Angeles bei Nacht da unten liegen sah, daß es einem die Sprache verschlug. Und Karl hatte dieses verschachtelte Häuschen um eine einzige Bude herum, die Urzelle, selbst aufgebaut, mit Basement und Holzterrassen, ein kleines Wunder. Bob Rice hatte mich hergebracht, außer uns war noch Allan da, ein Amerikaner japanischer Herkunft, der Freund von Bob, und ein älteres jüdisches Ehepaar, der Rechtsanwalt John, seine Lebensgefährtin, eine Professorin an der Universität, und ihre Tochter. Wir tranken einen Gin Tonic und saßen dann eng um einen Tisch in einem der kleinen Zimmer, die alle ineinander übergingen und deren Wände mit Fotos von Karl bedeckt waren. Er und Allan hatten gekocht, »japanischer Touch« wurde angekündigt, eine Vertrautheit kam zwischen uns auf, als würden wir uns lange kennen. Immer wieder war ich überrascht, mit wieviel Wärme die Menschen mir entgegenkamen, obwohl sie doch alle den Artikel in der »New York Times« gelesen haben mußten, in dem ein Porträt von mir entworfen wurde, vor dem ich erschrak. John, der Rechtsanwalt, sagte leise zu mir, ich solle mir einfach vorstellen, daß die Amerikaner jedes Land und jeden Menschen nach ihrem Bilde formten, und daß viele Leute es einfach »great« fänden, wieviel Platz diese große Zeitung mir widmete, unabhängig vom Inhalt des Artikels.
    Bob bat Allan, von der Internierung der in den USA lebenden Japaner in concentration camps nach der Bombardierungvon Pearl Harbour zu erzählen, seine Eltern und er als einjähriges Kind waren davon betroffen gewesen, Allan wollte nicht viel dazu sagen, nur, daß es sehr schwer für sie war, nach ihrer Entlassung wieder Fuß zu fassen im normalen amerikanischen Alltag, ein allgemeines Mißtrauen schlug ihnen entgegen. Er arbeitete übrigens bei Universal Studios als Kulissenbauer, wenn es mich interessiere, könne er mich mal durch die Studios führen.
    John hatte viel über den Herbst 1989 gelesen. Er brachte die Diskussion auf die Frage, welches englische Wort dem deutschen »Aufbruch« angemessen wäre, wir fanden »uprising«, aber das stimmte nicht ganz, wir würden Wörterbücher zu Rate ziehen.
    Wie

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