Stadt der Engel
schweißüberströmt kroch ich aus dem Auto, das wir in der prallen Sonne auf dem Broadway stehenlassen mußten, engelfrei war die palmenumsäumte Straße von Downtown bis zum Pazifischen Ozean, auto- und menschenleer in dieser Sonntagsglut, Häuser, Palmen ohne Schatten, wohin mit uns Gestrandeten, Verdurstenden. Da geschah das Wunder, da zeigte sich eine schmale himmelblaue Tür in der weißen Häuserwand, da stand Susan in der Tür, da tatdie Tür sich hinter ihr auf, da traten wir in einen verdunkelten Gastraum, der menschenleer war, den wir durchquerten, um auf einen Hof zu gelangen, auf dem unter schattigen exotischen Bäumen Tische standen, an denen vergnügte Menschen aßen und tranken, wo der für uns passende Tisch wie selbstverständlich frei war, wo nach einer Minute ein großes Glas Eistee vor jedem von uns stand, ein Labsal, das wir gar nicht bestellt hatten, aber hier schien man zu wissen, was einem gut tat, auch die Speisekarte war uns genehm, Salate in vielen Variationen, es wurde zügig bedient, aber wiederum nicht zu flott, wir brauchten Zeit, uns abzukühlen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
In eines der Gespräche, von denen jene letzten Wochen, jetzt, im Rückblick, erfüllt zu sein schienen, ich könnte sie als ein fortgesetztes Gespräch sehen, nicht beschreiben, denke ich bedauernd, Gespräche scheinen aus dem flüchtigsten Stoff von all unseren Erfahrungen zu sein, flüchtiger selbst als manche Gedanken, denn schon am nächsten Morgen, als ich das, was mir vom vergangenen Tag in Erinnerung war, notieren wollte, waren mir nur ein paar Stichworte geblieben. Wir redeten über Gott und die Welt, genauer gesagt, über Gott und den Teufel. Nämlich wir fragten uns, wann denn die frühen Religionen es nötig gehabt hatten, zu einer Moral zu greifen, die des Menschen Tun und am Ende sogar sein Denken in »gut« und »böse« aufspaltete. Wann also Himmel und Hölle, Engel und Teufel erfunden wurden. Und warum.
Angelina, mein Engel, hatte sich in die Zweige des Eukalyptusbaums geschwungen, unter dem wir saßen, und hörte uns aufmerksam und ein wenig spöttisch zu. Nur ich sah sie, das war normal und würde von nun an so bleiben, ich blieb nüchtern und tatsachenfreundlich, aber ich gewöhnte mich an diese Begleiterin. Sie, der Engel, ließ mich sagen, denn woher außer von ihr hätte ich das wissen können, daß es ein dunkles Geheimnis nicht nur unter den Menschen, auch unter den Engeln gebe, nämlich daß die dunklen Engel gegen Gottaufbegehrt hätten und dafür in den unteren Himmeln bleiben müßten, in den Kategorien von Zeit, Raum und Illusion, darin den Menschen näher, anders als die hellen Engel, die in den oberen Dimensionen in ewigem Licht und Gesang Gottes Thron umkreisten. Angelina schien mein Mitgefühl darüber, daß sie zu den verbannten Engeln gehörte, nicht zu benötigen, sie machte eine wegwerfende, fast obszöne Bewegung, die ich von einem Engel nicht erwartet hätte.
Unsere Gesellschaft hatte sich vergrößert, Lowis war dazugestoßen, ein Mann mit einem mächtigen graumelierten Lockenhaupt, Ethnologe, erfuhr ich, an der hiesigen Universität, und von allen, besonders von Therese, stürmisch begrüßt. Er brachte eine junge Frau mit, die keiner kannte, Sanna, stellte er sie vor, ihres Zeichens eine Art Regisseurin, sagte er, niemand konnte zweifeln, daß die beiden ein Paar waren. Verstohlen, doch gründlich wurde die Frau gemustert, auch von mir. Sie war auffallend schlank. Sie reizte mich, alles an ihr war braun, die Haut, die kunstvoll hochgebundenen Haare, die lockere, wohlüberlegte Kleidung, auch die Augen, das fiel mir erst später auf, als sie sich mir zuwandte. Sie hatte sich neben mich gesetzt. Lange sah ich nur ihr wohlgestaltetes Profil.
Lowis und Sanna wurde die Frage vorgelegt, die uns gerade beschäftigt hatte: Wozu man in den alten Religionen Opfer gebraucht habe, Menschenopfer. Nicht alle alten Religionen hätten Menschenopfer gekannt, sagte Lowis, zum Beispiel hätten die Hopi, ein Indianervolk, das er studiert hatte, höchst selten einen Menschen ihren Göttern zum Opfer gebracht. Die Rede ging jetzt hin und her über die gegenwärtigen Ausprägungen des Sündenbock-Rituals, anscheinend könnten wir nicht darauf verzichten, anscheinend werde es immer gebraucht, wenn auch das Kreuzigen aus der Mode gekommen sei, aber aus der Stadt gejagt werden, das gebe es weiter.
Sanna beugte sich zu mir und fragte leise: Glaubst du eigentlich, daß sie so mit
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