Stadt der Engel
durch staubige Fenster in den großen Innenraum, konntet Teile des Wandfrieses ausmachen – Früchte, Lebensmittel –, die Internierte, unter ihnen Max Ernst, als Aufmunterung für ihre hungernden Genossen gemalt hatten. Dasganze Gelände war mit feinem und grobem zermahlenen roten Splitt bedeckt, hier waren Ziegelsteine produziert worden. Jeder Regen mußte diesen Hof in einen roten Sumpf verwandeln.
Die Leistung, sagte ich, diese zwei dicken Bände von Paul Merker im Emigrationsverlag herauszugeben. Und erst die Leistung, dieses Werk in der Emigration zu schreiben. Als Anlaß dafür muß man sich wohl die bohrende Frage der linken Emigration vorstellen, was aus Deutschland nach dem Sieg über Hitler werden solle, über die es kontroverse Diskussionen gab, zum Beispiel zwischen Brecht und Thomas Mann, hier in Kalifornien, wo acht herausragende Autoren, unter ihnen Brecht und die Brüder Mann, es im August 1943, in dem Augenblick, da der Sieg der Alliierten Nationen näher rückt , für ihre Pflicht halten, die Kundgebung der deutschen Kriegsgefangenen und Emigranten in der Sowjetunion zu begrüßen, die das deutsche Volk aufrufen, seine Bedrücker zu bedingungsloser Kapitulation zu zwingen und eine starke Demokratie in Deutschland zu erkämpfen . Es folgte der wichtige, damals alles andere als selbstverständliche Satz: Auch wir halten es für notwendig, scharf zu unterscheiden zwischen dem Hitlerregime und den ihm verbundenen Schichten einerseits und dem deutschen Volk andererseits.
Und am nächsten Tag, notiert Brecht ingrimmig in seinem »Arbeitsjournal«, ruft Thomas Mann bei Feuchtwanger an und zieht seine Unterschrift zurück, mit der man, meint er, den Alliierten in den rücken falle . Er könne es nicht unbillig finden, wenn die alliierten deutschland zehn oder zwanzig jahre lang züchtigen .
Um so mehr bewunderte und bewundere ich die Weitsicht Paul Merkers, dessen Buch jetzt, nach seiner Reise über den Ozean, wieder vor mir liegt. In dem ich blättere, bis zur letzten Seite, wo er dem Zentralkomitee der kommunistischen Partei eine Plattform von elf Punkten vorschlägt, deren erster lautet: Aufrichtung eines antifaschistischen demokratischen Regimesund einer parlamentarischen Republik mit allen demokratischen Freiheiten.
Was ist aus diesem Mann geworden? fragte damals Peter Gutman.
Er starb 1969, wie es heißt, »psychisch und physisch gebrochen«, sagte ich. Zuerst wurde er aus der Partei ausgeschlossen, weil er Kontakt zu dem Amerikaner Noel Field hatte, der ihm wie vielen Emigranten bei der Flucht aus dem besetzten Frankreich geholfen hatte. Dessen unglaubliche Geschichte auch noch zu erzählen, sagte ich, würde zu weit führen. Merker geriet dann in die Ausläufer der Prager Slánský-Prozesse in der DDR, wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt – als Stalin schon tot war! –, von denen er vier Jahre abgesessen hat. Danach wurde er von dem gleichen Richter freigesprochen und rehabilitiert, der ihn vorher verurteilt hatte. Er wurde auf unbedeutende Posten abgeschoben.
Walter Janka, der das Exil in Mexiko mit ihm geteilt hatte und nach ihrer beider Rückkehr eine Zeitlang sein persönlicher Mitarbeiter war, hat euch von ihm erzählt. Er selbst hatte nach 1960 drei Jahre Zuchthaus in der DDR hinter sich, wegen »Bildung einer konterrevolutionären Gruppe«. Er war daran nicht zerbrochen, sondern kämpferisch geblieben. Als Dramaturg im Filmstudio beriet er euch bei Filmprojekten.
Ein geschärftes Interesse an einem Gegenstand treibt einem ja scheinbar zufällig alles mögliche zu, das paßt, wie jetzt einen Zeitungsartikel unter der Überschrift »Hell aus dem dunklen Vergangenen«, in dem Forschungsberichte über das Verhalten der Berliner Arbeiter während der Nazizeit referiert werden: Der Widerstand von Sozialdemokraten und von Kommunisten, deren Blutzoll besonders hoch gewesen sei, Tausende Verhaftete und Gefolterte, hunderte Hingerichtete. Die These von der sozialen Korrumpierung der Bevölkerung durch die NS-Gesellschaftsordnung sei jedenfalls für die Berliner Arbeiter nicht beweisbar. – Wo ist das Erinnerungsmal für sie?
Ich hatte das Gefühl, ich müßte mir Urlaub geben vomDenken, vom Schreiben, ich legte mich hin, ich versuchte meinen Kopf leer zu machen, wie die Nonne es empfahl, aber ich hörte das Telefon, ich brachte es nicht fertig, es klingeln zu lassen, die Stimme kam von weither, eine Freundin wollte mir mitteilen, die Bosnier seien jetzt in einer Stadt eingeschlossen
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