Stadt der Engel
Allan, unser Gastgeber, lächelte zufrieden. Zuerst tranken wir einen Cocktail, der sich »Kamikaze« nannte und aus Wodka, Triple Sec und Limonensaft bestand, der hatte seinen Namen verdient, fanden wir und wurden sehr gesprächig, aßen Sushi und Combination Dinner, sehr reichlich, sehr schmackhaft, viel roher Fisch, und redeten über den Gegensatz zwischen dem japanischen und dem protestantischen Gewissen, wie das eine gesteuert werde von der Angst vor dem Gesichtsverlust in der Öffentlichkeit, das andere von der Angst vor dem Versagen vor Gott. Und daß es wohl ein Fortschritt in der Menschheitsgeschichte gewesen sei, meinten wir, als das persönliche Gewissen aufkam. Merkwürdig gut paßte dieses Gespräch zu den Erlebnissen des Tages und zum Anblick der inzwischen nächtlichen Lichterstadt.
Als ich ins ms. victoria zurückkehrte, die drei Racoons nicht achtend, die wie immer Wache hielten, hatte Peter Gutman wieder mal einen Zettel unter meiner Tür durchgesteckt. Ein Satz von Kleist war ihm mitteilenswert erschienen: Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.
Es war noch vor Mitternacht, ich rief ihn an: Und wenn wir auf das Paradies verzichten würden?
Das glaubst du selber nicht, sagte er. Wir sind doch schon heftig bei dieser Reise um die Welt. Nur anders, als Kleist sie sich vorstellen konnte: Nicht mit der Kutsche. Mit Raketen. Wir suchen den Hintereingang, und wenn der auch geschlossen sein sollte, werden wir ihn aufsprengen. Notfalls mit Atombomben.
Herzlichen Dank, sagte ich. Das hilft mir beim Einschlafen.
Am nächsten Tag fuhren wir mit meinem kleinen roten GEO noch einmal zu seiner Freundin Malinka, durch die halbe Stadt, Malinka hatte einen Lunch vorbereitet, danach saßen wir draußen in ihrem winzigen Gärtchen unter einem duftenden Zitronenbaum und redeten über Sprache. Malinka sagte, sie sei serbokroatisch aufgewachsen und habe, als sie vor zehn Jahren nach Amerika kam, im Eiltempo Englisch gelernt, akzentfrei, um nicht aufzufallen. Sie schreibe in zwei Sprachen. Wenn sie aber etwas Persönliches schreibe, meide sie das Serbokroatische, um sich nicht »sticky« zu fühlen.
Meine Person war an die Sprache gebunden, die Sprache sei meine eigentliche Heimat, das klang banal, aber ich spürte, daß die anderen beiden das mit einem gewissen Neid hörten. Peter Gutman meinte, da sei eine zweite Person in ihm, die schreibe, in einer Sprache, von der er oft denke, daß es nicht die seine sei.
Wir liefen in Malinkas neighbourhood herum, am Fairfax, ein jüdisches Viertel, jüdische Restaurants, koschere Lebensmittelläden, in denen Malinka bestimmte Käse kaufte, jüdische Väter mit Kippa, ihre zwei kleinen Söhne an der Hand, sehr ernsthaft, auch mit Kippa auf dem Kopf, auf dem Weg zur Synagoge. Viele ältere Leute, in der Nähe sollten Altersheime sein. Nicht wohlhabend, dieses Viertel, diese Menschen, eher ärmlich. Aber eine langsamere Gangart als sonst in der Stadt. Ein friedliches Bild, wie durchsichtig. Diese Stadt als Patchwork.
Peter Gutman schien sich zwischen uns beiden Frauen, dieihm beide gewogen waren, wohl zu fühlen. Er bekannte, er habe einen »sweet tooth«, und kaufte eine Menge sehr süßer Kekse.
Als ich den langen Wilshire Boulevard hinunterfuhr, war es schon dunkel.
Das winzige Häuschen im Hof hinter einem großen Häuserblock, in dem Rachel, meine Feldenkrais-Therapeutin, praktizierte, war mir schon vertraut. Ich konnte ihr melden, daß es mir besser ging, daß ich keine Tabletten genommen hatte, aber gerade war ich wieder ziemlich blockiert. Rachel machte bestimmte kleine Gelenke im Beckenbereich dafür verantwortlich, die sie mir auf einer anatomischen Tafel zeigte. Die Behandlung tat mir gut, war aber nicht schmerzfrei. Einmal legte sie mein Bein auf ein Kissen und redete ihm auf jiddisch zu: Geh schlaff!
Ich erzählte ihr von unserem Gespräch über unsere Sprachen. Rachel sagte: Meine Sprache ist Feldenkrais, und ich werde mein ganzes Leben brauchen, um sie wirklich zu erlernen.
Ich brachte die Rede auf William Randolph Hearst, über den uns gerade der berühmte Film von Orson Welles, »Citizen Kane«, vorgeführt worden war, weil wir einen Ausflug nach Hearst Castle planten. Aus mir unbegreiflichen Gründen sollte dies der beste Film sein, der je gemacht wurde. Rachel sagte: Men like Hearst and Carnegie and J. Paul Getty must have been
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