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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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gehört. Ich sei nicht zum Abendessen erschienen, nun auch nicht zum Frühstück, und es sei gleich Mittag.
    Ich habe im Pool gebadet, sagte ich töricht und merkte, dies war das letzte, woran ich mich erinnern konnte. Wie ich indieses Zimmer gekommen war, meinen Schlafanzug ausgepackt hatte, ins Bett gegangen war – ich wußte es nicht. Das erzählte ich lachend. Sie wollten nicht mitlachen.
    Greg, der gegen meinen Einspruch zu Rate gezogen wurde, fällte die Diagnose: Ein Blackout. Er wollte mich zu einem Arzt bringen. Dagegen protestierte ich so heftig, daß er den Plan fallenließ und mir das Versprechen abnahm, bei jedem etwa noch einmal auftretenden kleinsten Symptom sofort Meldung zu erstatten. Im übrigen blieb keine Zeit zu langen Diskussionen, die Gruppe versammelte sich schon zum Ausflug nach Hearst Castle. Peter Gutman setzte sich im Bus neben mich und betrachtete mich von der Seite.
    Also irgendwas hat dein Unterbewußtsein dir mitteilen wollen, sagte er.
    Ja, sagte ich. Daß ich ein Wassermensch bin und nicht auf dem Trocknen sitzen soll.
    So heiter hab ich dich noch nie gesehen, sagte er.
    Das macht dich wohl mißtrauisch, wie?
    Heiter saß ich neben Peter Gutman in dem Bus, der uns den Berg hinauffuhr, welcher inmitten einer herrlichen, kaum bewachsenen Hügellandschaft liegt. Wir wurden vor einem Gebäude abgeladen, das am ehesten der Abflughalle eines kleineren Flughafens glich, wo man nach Tickets anstehen mußte. Ich war in der Stimmung, alles komisch zu finden, besonders die Begrüßung der Besucher durch einen nicht mehr jungen, in einen korrekten marineblauen Anzug mit weißem Hemd und Schlips gekleideten Mann, der einen Strohhut auf dem Kopf hatte und Angestellter des Staates Kalifornien war, sich aber sehr weitgehend mit William Randolph identifizierte und uns durch die Anlage führte, vom Außenswimmingpool, der umgeben war von griechischen Säulen und Statuen, manche echt, manche weniger echt, das sagte der Führer gleich, durch die herrliche Gartenanlage, betreut von acht Gärtnern, über schwingende Treppen in eines der Gästehäuser, dessen Zimmer mit altem Mobiliar vollgestopft und meistens düster waren,hier würden wir nicht wohnen wollen, versicherten wir uns gegenseitig, doch hatten sie alle hier gewohnt, von Garbo bis Chaplin, und wenn einer der Gäste sich danebenbenommen hatte und nicht mehr das Wohlwollen des Gastgebers besaß, konnte er oder sie, von einem Ausflug kommend, seine oder ihre gepackten Koffer und ein wartendes Taxi vor der Tür finden: Auf Nimmerwiedersehen.
    Ich mußte über alles lachen, auch darüber, daß die Gäste von Mr. Hearst nur, wenn sie verheiratet waren, gemeinsame Schlafzimmer benutzen durften, während er Marion Davies mit hierherbrachte, seine mistress für viele Jahre, da seine katholische Ehefrau sich nicht scheiden lassen wollte. Dafür ließ er Marions Schlafzimmer mit echten Madonnenbildern vollhängen, und den Alkohol verschloß er vor ihr im Panzerschrank.
    Das Haupthaus der ganzen Anlage, in dem der Besitzer wohnte und dessen Fassade der einer Kathedrale glich, mißfiel mir gründlich, alles mißfiel mir, der Raum, in dem die Gäste sich pünktlich eine halbe Stunde vor dem Hausherrn zum Dinner einfinden mußten, düster, gewaltige großblumige Sessel, das Eßzimmer, das am ehesten einem Rittersaal glich, Fahnenreihen oben entlang den Wänden, dunkle Täfelung, riesige kostbare Wandteppiche, überhaupt an jeder Wand Kunst, zusammengekauft in der ganzen Welt mitten in der Rezession, als das alles billig war. In sämtlichen Räumen Original-Renaissancedecken. Und dann, als unüberbietbarer Höhepunkt, das phänomenale »Römische Bad«, das so manche Stadt für ihre Bewohner sicher gerne gehabt hätte, durch eine Reihe milchiger Lampen in ein geheimnisvolles Licht getaucht.
    Rom in seiner Endzeit, sag ich doch, sagte Lutz neben mir. Das kann nicht gutgehn. Das ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn die Oberschicht einer Gesellschaft nicht mehr in ihrer Zeit leben will, sondern sich in eine Frühzeit zurückphantasiert.

    da wurde mir bewusst, erinnere ich mich, dass ich gerne in meiner zeit lebte und mir keine andere zeit für mein leben wünschen konnte. trotz allem? trotz allem. eine gewisse neugier verspüre ich, ob es dabei bleiben werde. vielleicht sind die explosionen in den magistralen des kapitals zeichen von endzeit, jedenfalls für unsere abendländische kultur, aber ich geniesse die annehmlichkeiten dieser kultur, wie fast alle es

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