Stadt der Engel
eine Decke gewickelt, auf die hinteren Sitze legen, ich erlebte nicht, wie die Dunkelheit uns einholte. Ich verirrte mich in einem Labyrinth, dessen Wände den Häuserwänden der Anasazi glichen, der Faden, der mich hinausführen sollte, war mir nicht von Ariadne, sondern selbstverständlich von Angelina, meinem Engel, in die Hand gegeben worden, ich konnte ganz natürlich mit ihr sprechen, konnte sie fragen, ob nicht diese Anasazi »mehr Mensch« gewesen seien als wir heutigen reichen Weißen, Angelina beantwortete solche Fragen nicht, das wußte ich schon, sie hielt auch nichts von Schuldgefühlen, sie war der Meinung, die würden einen nur daran hindern,drauflos zu leben und dabei Freude zu haben und, egal, was wir uns aus der Vergangenheit vorzuwerfen hätten, frischweg das zu tun, was heute nötig sei.
Ich schwieg, ich hatte schon öfter insgeheim gedacht, die Lebensweisheit meines Engels sei ein wenig schlicht, er könne wohl die komplizierte Psyche des modernen Menschen nicht vollkommen verstehen, aber das hätte ich niemals ausgesprochen, übrigens schien es mir auch nicht wichtig zu sein.
Das Southern West Grand Hotel in Dolores hatten wir nicht erwarten können, wo wir reserviert hatten, wo Fredy uns an der Rezeption empfing, ein Hotelbesitzer, den man nicht hätte erfinden können, ein kleiner, knorriger Mann. Mit überströmender Höflichkeit wies er uns unsere Zimmer zu, die uns, das merkte man ihm an, in Begeisterung hätten versetzen sollen. Wir waren in ein Puppenhaus geraten: Fünf Räume, Alpträume in Rosa, winzig, dunkel, selbst wenn die Lämpchen mit den rosa Schirmchen brannten, auf jeder noch so kleinen freien Fläche ein Gefäß mit künstlichen Blumen, die Jalousien heruntergelassen, die Fenster nicht zu öffnen, ein winziger Schrank, eine winzige Dusche mit rosa Wänden und rosa Handtüchern. So, glaubte Fredy, stellten Europäer sich ein Hotel vor, ihnen wollte er entgegenkommen, ich aber spürte, wie unter seinem Redefluß meine Stimmung sich immer mehr verfinsterte.
Den beiden anderen schien es ähnlich zu gehen, wir brauchten etwas zu trinken, aber Fredy hatte keine Ausschankgenehmigung, er betrieb dieses Hotel noch nicht sehr lange, erfuhren wir. Er wies uns über die Straße zum liquor shop, einem engen Alkoholladen, in dem uns eine unglaubliche ältere Lady, die einem Miss-Marple-Film entsprungen sein mußte, nach längerem Hin und Her tatsächlich einige Flaschen Rotwein verkaufte, von denen sie sich schwer trennte: I told my husband to buy more red wine!, außerdem Whiskey, Tequila, wodurch wir uns natürlich bei der Alkohol-Lady hoch verdächtig machten. Be careful!, gab sie uns mit auf den Weg.
Fredy seinerseits, durchaus einverstanden mit unserenEinkäufen, geriet in Schwierigkeiten. Am liebsten hätte er uns den Wein in Kaffeetassen gereicht, damit man an den anderen Tischen in seinem übrigens kleinen Restaurant nicht beobachten konnte, wie er uns beim Sündigen half. Schließlich fand er einen Ausweg: Da das Restaurant mit Hilfe von viel Holz in Eisenbahnabteile unterteilt war, bugsierte er uns an einen Tisch in der entferntesten Ecke in das versteckteste Abteil, das niemand einsehen konnte. Da stand, wie auf jedem Tisch, eine Holzeisenbahn, die Salz und Pfeffer transportierte. Hierher traute sich Fredy Gläser zu bringen, er trank dann auch eins mit, während ein junges Mädchen, blond, mit stark geschminkten Augen, unsere Bestellungen aufnahm, American food, riesige Portionen zu billigen Preisen.
Fredy aber ließ nicht von uns ab. Während wir unser Steak aßen, erfuhren wir alles über seine Familie: Sein Großvater war als Wolgadeutscher 1906 herübergekommen, hatte sich mühsam als Farmer durchgeschlagen, sein Vater war von einem ökonomischen Zusammenbruch zum anderen getaumelt, aber er, Fredy, war policeman in Ohio geworden, kein schlechter Job, you see, und doch hatte er eines Tages alles aufgegeben und war, nur mit der Frau und den Kindern, hierher nach Colorado gekommen, hatte kurz entschlossen dieses Hotelchen gekauft, nachdem er bei Freunden einen Crash-Kurs in Hotelgewerbe gemacht hatte. Nun holte er aus ganz Amerika seine Familie zusammen. Der Bruder war schon da, eine seiner Nichten war das blonde Mädchen, das als Bedienung arbeitete, nun würde auch noch die Schwester aus Kansas City eintreffen. Wir sähen in ihm, sagte er, während er sein Rotweinglas anhob, einen glücklichen Menschen. Etwas beklommen gratulierten wir ihm.
Am nächsten Morgen, nach
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