Stadt der Engel
vielmehr – das Wort süchtig möchte ich vermeiden – zu erwarten anfing.
Beim Frühstück brachte Sanna zwei schöne Keramiktrinkschalen mit den schwarzweißen Mustern der Navajo aus dem gift shop, in dem sie sich schon eine Stunde lang umgesehen hatte. Die eine der Schalen schenkte sie Lowis, sie tranken beide, jeder aus seiner Schale, und grüßten einander mit den Augen, mir war, als erneuerten sie ein Versprechen.
Lowis studierte eine Broschüre über das Leben der Anasazi. Wir würden ihren Spuren folgen. Ihr Name übrigens, den die Navajo ihnen gegeben hatten, da man nicht wußte, wie sie selber sich nannten, bedeutete: »Die ältesten Leute«. Wir würden also zur Mesa Verde aufbrechen, wo die Hinterlassenschaft der Anasazi besonders sichtbar sein sollte. Wir kamen unverhofft wieder in eine unglaublich rote Landschaft, der Sandstein, der das Material für die Straßen, den Boden, die Felsen abgab, war in allen Rot- und Ockertönen gefärbt, wir konnten uns nicht satt sehen.
Wenn ich die Augen schließe, steigt, so viele Jahre danach,ein Abglanz dieses Bildes auf. Es gibt den Hintergrund ab für eine Meldung von heute, die mich beschäftigt: Geologen haben vor, das Zeitalter des Holozän, in dem wir leben und das, verglichen mit früheren erdgeschichtlichen Zeitaltern, noch gar nicht so alt ist, schon jetzt für beendet zu erklären und statt dessen das Anthropozoikum auszurufen. Es sei erwiesen, daß der Mensch heutzutage die stärkste Kraft sei, die Veränderungen auf der Erde bewirke – auch solche, die Geologen in späteren Jahrhunderten wahrnehmen würden –, auf der Erdkruste, durch das massenhafte Aussterben von Arten, durch Entstehen neuer Baustoffe (Ziegel, Beton). Manche wollen Hiroshima als Epochengrenze nehmen, andere den Beginn des industriellen Zeitalters: 1800.
Die Anasazi haben keine Zerstörung hinter sich gelassen, als sie stillschweigend ihre alten Siedlungsgebiete räumten und in dürftigere Gegenden zogen, die wir auf unserer Reise noch kennenlernen sollten.
Da das Rot in der Landschaft nicht zu beschreiben ist, fotografierte ich entgegen meiner Gewohnheit exzessiv und wußte doch schon, daß ich Abzüge vor mir haben würde, die nur enttäuschen konnten. Das Rot ließ nach, während wir immer weiter fuhren auf der fast leeren Straße, Graugrün setzte sich an seine Stelle, wir mußten dem Wegweiser folgen, der uns zum Four Corners Monument führte. Dann standen wir also vor dem Stein, der das Aufeinandertreffen der Grenzen von vier Bundesstaaten markierte: Arizona, New Mexico, Utah und Colorado. Wir sahen, daß andere Gruppen, die sich vor dem Monument versammelten, anscheinend starken Respekt vor diesem Ort empfanden, wir blieben ungerührt, fuhren bald weiter und näherten uns der Mesa Verde, von der wir viel gehört und gelesen hatten, vorbei an den Sleeping Mountains, die ihre Gelassenheit der Landschaft mitteilten und deren Spitzen und Hänge mit Schnee bedeckt waren.
Wir waren länger unterwegs gewesen, als wir es berechnet hatten, zuletzt ging es eine Dreiviertelstunde lang hinauf aufdie Hochebene, den »grünen Tisch«, es wurde Abend, das Museum, das von einem freundlichen Ranger betreut wurde, würde in einer halben Stunde schließen, wir ließen uns davon nicht abhalten, wollten etwas über die verschiedenen Stadien der Besiedlung der Mesa Verde erfahren und über die Anasazi, die achthundert Jahre hier gelebt, ihre Häuser unter die Klippen der Sandsteinfelsen gebaut hatten, unter die Ränder des Canyons, so daß sie von außen kaum zugänglich waren, und die noch weiter in den Untergrund hinein ihre Zeremonienräume gegraben hatten, die runden Kivas, die man nur über eine Leiter durch eine Öffnung von oben erreichen konnte. Man nimmt an, lasen wir auf den Tafeln an den Wänden des Museums, daß die Frauen die Häuser bauten und die Stämme matrilinear organisiert waren, wir fuhren dann eine Runde auf der Mesa Verde und sahen viele der Höhlenruinen, zum Schluß den berühmten vielgliedrigen Sonnentempel. Ein scharfer Wind blies, es war sonnig, aber unglaublich kalt, wir hatten nicht damit gerechnet, daß wir auf unserer Reise so frieren würden.
Vor dem Ausgang des Museums hatte es eine Vitrine gegeben: What we owe to the Indians, da wurde gezeigt, was der »weiße Mann« von den Indianern übernommen hat – von der Medizin bis zu pflanzlichen Produkten.
Wir freuten uns auf das warme Auto, Sanna und Lowis wechselten einander am Steuer ab, ich konnte mich, in
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