Stadt der Engel
einer kurzen Besichtigung des Ortes, waren wir uns einig, daß Dolores der ideale Platz für einen Krimi war, der im alten Amerika spielen müßte. Nicht nur die frühere Station der Rio Grande Southern-Eisenbahn, die ihren Betrieb längst eingestellt hatte, war in ihreraltmodischen Schönheit konserviert, auf andere Weise verkörperte das Bakery-Paar Irene und Alf eine vergangene Zeit, sie kam aus Berlin-Kreuzberg, er hatte sie nach seiner Army-Zeit mit herübergebracht, jetzt buken sie Brot und Kuchen nach deutscher Art und verkauften deutsche Antiquitäten. Sie zeigten uns ihren Holzofen, wir kauften Roggenbrot und Bienenstich, den wir abends in meinem Hotelzimmer in Kayenta essen würden, jetzt aber hatten wir den blacksmith zu besuchen, einen sechsundachtzigjährigen Mann, der noch arbeitete (why not?), er machte schmiedeeiserne Wetterfahnen für das ganze Dorf. Er sei nach Dolores zurückgekommen, von wo er sich vor einundsechzig Jahren seine Frau geholt habe: Er habe sie zu ihrer Familie zurückgebracht. Er sei ursprünglich Holländer, als kleines Kind mit seinen Eltern nach Amerika gekommen.
Jetzt möchte ich doch mal einen treffen, dessen Eltern schon Amerikaner waren, sagte Sanna, während wir uns gegen Cortez, nach Westen abbiegend, nun auf einer dirt road in Richtung Kayenta bewegten, wieder in einer roten Landschaft, die überging in eine fruchtbare Gegend. Auf der wenig befahrenen, holprigen Straße kamen wir an vernachlässigten Farmen vorbei. Dann erschien – es war wirklich wie eine Erscheinung, unsere kühnsten Erwartungen übertreffend – rechterhand in einem eingezäunten Ranchgelände ein Cowboy auf einem Pferd ohne Sattel. Das glaub ich jetzt nicht, flüsterte Sanna, wir hielten an. Viele Kühe, die der Cowboy mit dem Lasso regierte, wie man es aus Filmen kannte. Er war ein Mann in den Fünfzigern, der zu uns an den Zaun kam, er trug abgerissenes Zeug, einen großen Cowboyhut, wirkte würdig. Neben ihm ritt, auch auf einem Pferd ohne Sattel, ein Junge von etwa sechs Jahren, mit einem knallroten Hemd und natürlich einem Cowboyhut.
Der Mann, offensichtlich der Vater des Jungen, wollte wissen, woher wir kämen, und sprach die Namen der fremden Länder nach. Er sei in diesem Tal geboren, gehe im Sommer mit der Herde in die Berge über Dolores, am nächsten Tag würde die Herde »gebrannt« werden. Er fragte nach unseren Berufen,die ihm unbekannt waren, und wollte dann wissen: What do you think about eternal life?, und nach unserem ausweichendverlegenen Gestammel begann er, uns eine kurze Lektion über den »Salvator« zu halten. Er verachtete die etablierten Kirchen, er selbst war missioniert worden. Er nannte den Namen der Sekte nicht, der er sich angehörig fühlte, darauf komme es nicht an, der Heiland und Erretter garantiere uns das ewige Leben. Wir hatten den Eindruck, der Mann segnete uns, bevor wir weiterfuhren. Ich war froh, ihn fotografiert zu haben. Die Fotos würden meinen Verdacht widerlegen, daß wir keinem Menschen aus Fleisch und Blut, sondern einem Geistwesen begegnet waren. Tatsächlich ist er auf ihnen abgebildet, in seiner ganzen Cowboypracht, mit der Herde im Hintergrund.
Und auch die Straße, in die unsere dirt road überraschend mündete und die eine einzige Baustelle war, habe ich dokumentiert. Diese brandneue Straße wurde anscheinend nur von Indianern gebaut, wir näherten uns dem Navajo-Land, Indianer auf den riesigen Maschinen, Indianermädchen auf Traktoren, Navajo-Mädchen, die die Absperrsignale bedienten, wir waren fast die einzigen, die hier entlangfuhren. Wir fragten eines der Mädchen, wozu die Straße dienen solle. Sie wußte nur, es sollte ein Highway nach Cortez entstehen, für die Touristen. Wir hatten aber links und rechts der Straße Ölpumpen gesehen, ab und zu Hinweise auf Texaco und Mobiloil, einmal ein Schild von Mobiloil: We are proud to be a part of the Navajo nation. Das Mädchen, das wir befragten, lachte verlegen, als hätten wir sie auf eine unzüchtige Handlung angesprochen, sie tat, als hätte sie in ihrem Leben noch keine Ölpumpe gesehen, die begleiteten uns noch, bis wir wieder auf unsere vertraute unbefestigte Straße stießen und unbearbeitete Natur sich um uns ausbreitete.
Wir fanden einen Picknickplatz am Rand eines Canyons mit einem grandiosen Blick über die Landschaft. Wir aßen zum ersten Mal getrocknetes Beef, was uns wider Erwarten schmeckte, wir hatten Flaschen mit Wasser dabei und das gute Roggenbrotaus Dolores. Nach einem
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