Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
leid, die Knallharte zu markieren?«
Süß. Ich hätte lieber ein blaues Auge kassiert, als mich als »süß« bezeichnen zu lassen. »Welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen deiner Gesellschaft?« Und dass du mir das Mittagessen verdorben hast?
»Ich hatte bloß Lust auf ein paar Pfirsiche«, sagte er und lächelte.
Seit wann löste ein Todesfall im Rudel bei ihm so gute Laune aus?
»Hat es einen bestimmten Grund, dass du dich nach den Midnight Games erkundigt hast?«, fragte er.
»Nur allgemeines geschichtliches Interesse.« Ich bewegte mich hier auf unsicherem Boden. Ich hatte keine Ahnung, ob er das von Derek wusste oder nicht. Ich musste dieses Gespräch kurzhalten. »Benötigt das Rudel meine Dienste als Mitarbeiterin des Ordens?«
»Nein, gegenwärtig nicht.« Er lehnte sich zurück, nahm Andreas Teller mit den Pfirsichstücken und hielt ihn mir hin. »Magst du?«
Mein Lächeln wurde bissiger. Während des Flairs hatte mir Curran Hühnersuppe serviert, und ich hatte sie gegessen. Später hatte mich Tante B, das Alphaweibchen des Bouda-Clans, über die Hintergründe dieser Geste aufgeklärt: Gestaltwandlermännchen boten Weibchen, mit denen sie sich paaren wollten, etwas zum Essen an. Er hatte sich damit gleichzeitig zu meinem Beschützer erklärt, angedeutet, dass ich schwächer war als er, und hatte mir einen unsittlichen Antrag gemacht. Und ich war darauf eingegangen. Es hatte ihn königlich amüsiert. Hätte ich gewusst, was diese Suppe zu bedeuten hatte, so hätte ich sie trotzdem gegessen – denn ich war zu diesem Zeitpunkt halb tot.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein danke. Von dir nehme ich kein Essen mehr an.«
»Soso.« Er nahm ein Stück Pfirsich, brach es entzwei und warf es sich in den Mund. »Wer hat dich denn aufgeklärt? Raphael?«
»Spielt das irgendeine Rolle?«
Seine Augen funkelten. »Nein.«
Lügner. Das Letzte, was ich wollte, war, Raphael in Schwierigkeiten zu bringen, weil er Currans kleinen Privatscherz verdorben hatte. »Ich habe in Gregs Aufzeichnungen etwas darüber gelesen.« Ich zog ein paar Dollarscheine aus der Tasche, faltete sie zusammen und steckte sie zwischen Salz- und Pfefferstreuer.
»Du gehst?«, fragte er.
Die Scharfsinnigkeit Ihrer Schlussfolgerungen ist schlicht und einfach bewundernswert, Mr Holmes . »Da hier kein beruflicher Bedarf nach mir besteht, widme ich mich wieder meinen Pflichten.«
»Du hast doch heute frei.«
Woher wusste er das?
Er aß noch ein Stück Pfirsich. »Der Orden gestattet maximal Sechzehnstundenschichten, solange die Magie nicht herrscht. Und eine unserer Ratten hat gesehen, wie du gestern am späten Abend eine alte Dame von einem Telefonmast heruntergeholt hast. Es soll eine zum Schreien komische Angelegenheit gewesen sein.«
»Ich habe kein Problem damit, zur allgemeinen Belustigung beizutragen«, murmelte ich und stand auf.
Curran griff nach meinem Handgelenk. Seine Finger waren katzenflink, doch ich hatte ein Leben lang meine Reflexe geschärft, und so griff er daneben.
»Na schau mal einer an.« Ich betrachtete mein freies Handgelenk. »Zugriff verweigert. Auf Wiedersehen, Euer Majestät. Richtet den Angehörigen bitte meine Anteilnahme aus.«
Ich ging zum Ausgang.
»Kate?« Seine Stimme klang mit einem Mal ganz anders, und ich sah mich noch einmal zu ihm um. Die gute Laune war aus seinem Gesicht gewichen. »Wessen Angehörigen?«
Kapitel 6
V or der Wende war auf der Ponce de Leon Avenue der Strom des Straßenverkehrs aus Stone Mountain über Decatur und Druid Hills und vorbei an City Hall East zu den Wolkenkratzern von Midtown Atlanta geleitet worden. Der BellSouth Tower, das Hochhaus der Bank of America und das Renaissance-Hotel lagen längst schon in Schutt und Asche, City Hall East aber stand nach wie vor. Vielleicht lag es daran, dass es so hoch nun auch wieder nicht war – es hatte lediglich neun Etagen. Sein Alter spielte womöglich auch eine Rolle. Es war ein geschichtsträchtiges Gebäude, das sich im Lauf der Jahre sehr gewandelt hatte. 1926 als Lagerhaus der Firma Sears errichtet, hatte es später der Stadtverwaltung gedient und war schließlich in einen Wohnkomplex mit zahlreichen Restaurants und Geschäften umgewandelt worden, der umgeben war von ausgedehnten Grünflächen. Doch es gab noch einen dritten, besonders zwingenden Grund für sein Fortbestehen. Circa zwanzig Jahre zuvor hatte die University of Arcane Arts das fast zweihunderttausend Quadratmeter Fläche umfassende
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