Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
sie das nicht nötig haben. Das ist mein Alltag. Und ich mache das jetzt schon seit fünfzehn Jahren. Verglichen damit bist du ausgesprochen pflegeleicht.«
Und ich hatte gedacht, ich würde eine Herausforderung darstellen. »Sekunde mal, bitte. Davon muss sich mein Ego erst mal erholen.«
Er lächelte. »Das ist das Gute, wenn man Prinzipien hat. Wenn du in eine Ecke getrieben wirst, wirst du stets bestrebt sein, das zu tun, was du für das Richtige hältst, selbst wenn es dir nicht gefällt. So wie jetzt.«
»Du hast mich also restlos durchschaut.«
»Ich verstehe, wieso du tust, was du tust, Kate. Mir gefällt manchmal bloß nicht, wie du es tust.«
Manchmal? »Ich kann Euch versichern, Euer Majestät, dass ich oft nachts wach liege, weil ich vor lauter Sorgen um Euren Gefühlshaushalt nicht in den Schlaf finde.«
»So sollte es ja auch sein.« Ein Laut, halb Lachen, halb Knurren, bebte in seiner Kehle. »Ich lass mich von dir nicht provozieren. Erzähl mir einfach, was du gesehen hast. Oder muss ich erst ein schriftliches Gesuch einreichen?«
Das Motto dieses Tages war offenbar »Bringen wir Kate doch mal ein bisschen Demut bei«. Er hatte mich, wo er mich haben wollte.
Ich dachte an die Szene zurück, rekonstruierte sie im Geiste. »Ich kam auf einem Maultier von der Ponce de Leon. Es waren sieben Gestaltwandler vor Ort. Zwei waren in Wolfsgestalt und suchten den Boden nach Geruchsspuren ab. Einer befand sich hier.« Ich ging hin und zeigte auf die Stelle. »Ein Männchen. Sah aus wie ein ganz normaler Eurasischer Wolf, Canis lupus lupus , dickes, dunkelgraues Fell, im Gesicht auch rötlich braun. Der zweite befand sich hier.« Ich ging über die Straße zu der ungefähren Stelle. »Das könnte ein Weibchen gewesen sein, aber da bin ich mir nicht sicher. Braunes, fast zimtfarbenes Fell, schwarze oder dunkelbraune Schnauze und dunkle Ohren. Hellgelbe Augen. Sah für mich nach einem Cascade Mountains Wolf aus.«
»George und Brenna«, erwiderte Curran. Er sah mir mit großem Interesse zu. »Jims beste Spürnasen. Erzähl weiter.«
Ich wechselte auf die andere Seite der Dead Cat Street. »Hier befanden sich zwei Gestaltwandler. Sie verstauten einen Leichnam in einem Leichensack. Es waren zwei Frauen. Die rechte war mittelgroß, schlank, aschblonder Bubikopf. Ihr Gesicht habe ich nicht gesehen.« Ich ging einen großen Schritt nach links. »Die hier sah indianisch aus. Etwas pummelig, dunkler Teint, Anfang vierzig, langes, schwarzes, geflochtenes Haar. Hübsch.«
Curran sagte nichts darauf.
»Außerdem Wachtposten. Hier … « Ich zeigte nach links. »… und da.« Ich wandte mich um und wies zu der Stelle. »Und dort.« Ich zeigte auf die Stelle, an der mich der Wachtposten aufgehalten hatte. »Die beiden hinteren sahen einander ähnlich. Dunkelhaarig, Latinos mit leichtem indianischem Einschlag, wahrscheinlich Mexikaner. Jung, eher klein, von gedrungener Gestalt, sehr reaktionsschnell, in einem Kampf sehr gefährlich. Der Mann, der mich aufgehalten hat, war Mitte dreißig bis Anfang vierzig. Militärfrisur, hellbraunes Haar, nussbraune Augen, sehr muskulös, Bodybuilder. Nicht so flink wie die beiden anderen, aber ich hatte so den Eindruck, dass er mich samt meinem Maultier hätte forttragen können. Sprach mit leichtem Akzent – australisch oder neuseeländisch. Er schonte seinen linken Arm ein wenig. Könnte sein, dass er sich den kürzlich verletzt hat. Soll ich auch die Kleidung beschreiben?«
Curran schüttelte den Kopf. »Wie lange warst du hier?«
»Anderthalb Minuten, vielleicht auch zwei.« Ich ging über die Straße zu der Stelle, an der ich Brenna hatte aufjaulen sehen. »Hier hat Brenna einen Arm gefunden. Ich glaube, es war der Arm einer Frau, denn der Ärmel war hell und schimmerte ein wenig. Ein metallisch schimmernder Stoff, von einem Abendkleid oder einer Bluse, nicht das, was ein Mann normalerweise anziehen würde, es sei denn, er hätte einen sehr extravaganten Geschmack.«
»Erzähl mir von Jim.«
»Er ist wie aus dem Nichts hier aufgetaucht. Ein dramatischer Auftritt.« Ich sah empor. »Ah. Wahrscheinlich ist er von diesem Balkon da runtergesprungen.« Dann gab ich unser Gespräch wieder. »Das ist alles. Die Leiche habe ich nicht gesehen. Und ich habe auch keine weiteren Einzelheiten.«
Currans Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. Es wirkte fast wie Bewunderung. »Nicht schlecht. Hast du von Natur aus ein so gutes Gedächtnis, oder hat der Orden dir das
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