Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
dir klar sein, dass Boudas keine Schakale sind und Schakale keine Ratten und Ratten keine Wölfe. Jeder hat da seine eigenen kleinen Tricks und Kniffe. Aber im Grunde geht es immer darum, dem Weibchen zu beweisen, dass man clever und leistungsfähig ist und für sie sorgen könnte und in der Lage wäre, sie und ihre Jungen, falls sie welche hat, zu verteidigen.«
»Gehört dazu auch, dass man bei ihr einbricht?«
Ein leises Lächeln spielte um Raphaels Lippen. »Aha, Seine Majestät hat also einen ersten Schritt gemacht. Hat er dich auch schon gebeten, ihm ein Essen zu kochen?«
Ich knurrte. »Hier geht es nicht um Curran und mich.«
Er lachte leise. »Im Grunde, ja. Einbruch spielt dabei eine wichtige Rolle. Beim Rudel ist es so, dass das gesamte Land dem ganzen Rudel gehört. Rings um die Treffpunkte der einzelnen Clans gibt es ein bisschen Land, über das die Clans traditionell selbst verfügen dürfen, wie etwa die vier Quadratmeilen rings um das Haus der Boudas. Das dient vor allem dazu, dass die Clans mal unter sich sein und interne Treffen abhalten können. Es gibt aber im strengen Sinne keine Clanterritorien, und auch einzelne Personen haben kein Territorium, und daher wird das eigene Haus zum Territorium. Und wenn man einer Frau nachstellt, versucht man ihr zu beweisen, dass man clever genug ist, um in ihr Territorium einzudringen und es wieder zu verlassen, ohne dass sie es merkt.«
»So, so.«
»Wie gesagt, manche Leute lassen sich da richtig was einfallen. Es ist eine Frage des Stolzes. Und jeder Clan hat in diesen Dingen seine eigenen Traditionen. Bei Ratten dreht sich alles immer nur ums Essen. Als Robert, der Alpha der Ratten, Thomas auf sich aufmerksam machen wollte, stopfte er ihm M&M’s in die Matratze. Ziemlich direkt, aber es hat funktioniert. Sie sind jetzt schon seit zwölf Jahren zusammen. Bei Wölfen wiederum ist alles eine Frage von Prestige und Eigentum. Nehmen wir beispielsweise Jennifer, die Alpha der Wölfe. Sie hat jede Menge Schwestern – ich glaube, insgesamt sind es sechs – , und die treffen sich zweimal die Woche zum Tee. Sie sind sehr englisch drauf. Einmal hat sie einer Freundin gegenüber erwähnt, dass ihr ganzes Geschirr angeschlagen wäre und nicht zueinanderpassen würde und dass sie eigentlich ein ganz neues Service bräuchte. Daniel hat ihr damals den Hof gemacht. Wölfe haben ein perfektes Gedächtnis. Und offenbar ist er dann anschließend in ihr Haus eingebrochen und hat ihr gesamtes Geschirr durch ein antikes Service in tadellosem Zustand ersetzt. Als Jennifer wieder nach Hause kam, machte sie den Schrank auf und fand alles genau so vor, wie sie es zurückgelassen hatte, jede einzelne Tasse und jeden einzelnen Teller, alles haargenau noch am gleichen Platz. Bloß dass alles nagelneu war. Sie hatte vor dem Weggehen eine Tasse und einen Teller in die Spüle gestellt, und auch die hatte er ausgetauscht und mit der gleichen Menge Wasser gefüllt, die er darin vorgefunden hatte.«
Raphael zuckte die Achseln. »Ich selbst fand es ja ein bisschen dröge, aber die Wolfsmädels haben noch jahrelang davon geschwärmt. Das sei so dermaßen nobel gewesen und so einfallsreich … «
Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen. »Und was macht ihr Boudas?«
»Wir versuchen witzig zu sein.« Seine Augen funkelten. »Meine Mom musste mal verreisen, und während sie weg war, hat mein Vater ihre ganzen Möbel an der Zimmerdecke angeleimt.«
Ich stellte mir vor, wie Tante B nach Hause kam und ihr Mobiliar von der Decke herabhängend vorfand. Oh, Mann. Ich grinste. »Und was hat deine Mutter dazu gesagt?«
»Sie war stinksauer. Wegen der Katze.«
Ich starrte ihn an. »Dein Vater hat doch nicht etwa … «
»Oh, nein.« Raphael schüttelte den Kopf. »Nein, er hat die Katze nicht an die Decke geklebt – das wäre ja nun wirklich Tierquälerei gewesen. Aber sie hatte diesen Tragekäfig, und den hat er an die Decke geleimt und die Katze hineingesteckt.«
Ich ahnte schon, was jetzt kam, aber es war zu schön, um es zu unterbrechen.
»Die Katze musste natürlich irgendwann, und weil der Käfig verkehrt herum hing, lief die ganze Katzenpisse durchs Gitter hindurch. Gleich daneben drehte sich der Deckenventilator, und der hat die Katzenpisse in eine Art Nebel verwandelt … «
Jetzt konnte ich mich nicht mehr halten.
Raphael grinste. »Er hat noch versucht, es wegzumachen, aber da war schon der ganze Teppichboden damit eingesaut. Da hatte sich mein Vater ein klein bisschen
Weitere Kostenlose Bücher