Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
setzte für einen Schlag aus. Der Jeep stand nun vollkommen still, so als würde er festgehalten und als drehte sich der Planet unter ihm immer schneller weiter.
Raphael zog ein Taschenbuch hervor und gab es mir. Auf dem Cover, das noch aus der Zeit stammte, als sich die Bildbearbeitung per Computer zu einer eigenen Kunstform entwickelt hatte, war ein unglaublich gut aussehender Mann abgebildet, der sich vorbeugte und mit einem Fuß, der in einem großen schwarzen Stiefel steckte, auf dem Kadaver irgendeines Seeungeheuers abstützte. Das Haar, das ihm in einer Mähne auf die Schultern fiel, war von weißgoldener Farbe, was einen schönen Kontrast zu seiner gebräunten Haut und der verwegen wirkenden Augenklappe bildete, die er auf der linken Seite trug. Sein weißes, durchscheinendes Hemd war aufgeknöpft und entblößte stählerne Bauchmuskeln und eine breite, perfekt geformte Brust, gekrönt von erigierten Brustwarzen. Seine muskulösen Schenkel spannten den Stoff seiner Hose, die ebenfalls aufgeknöpft war und ihm lose um die schmalen Hüften hing, und ein geschickt positionierter Schatten deutete auf eine Bestückung von absoluten Gardemaßen hin.
Darüber stand in großen goldenen Lettern: The Privateer’s Virgin Mistress , by Lorna Sterling.
»Roman Nummer vier? Für Andreas Sammlung?«, riet ich.
Raphael nickte und nahm mir das Buch aus der Hand. »Den anderen Roman, den Andrea unbedingt haben wollte, habe ich auch besorgt. Könntest du mir etwas erklären?«
Auweia. »Ich kann’s ja mal versuchen.«
Er pochte mit dem Buch auf sein von Leder umspanntes Knie. »Dieser Pirat hat doch tatsächlich den Bruder des Mädchens entführt – um sie dazu zu zwingen, dass sie endlich mit ihm schläft. Diese Männer, das sind doch gar keine richtigen Männer. Das sind Pseudobösewichte, die alle nur auf die Liebe einer sogenannten ›guten Frau‹ warten.«
»Du hast die Bücher tatsächlich gelesen?«
Er warf mir einen tadelnden Blick zu. »Natürlich habe ich die Bücher gelesen. Es geht da immer nur um irgendwelche Piraten und um die Frauen, die von ihnen geraubt werden, offenbar um jede Menge Sex zu haben und damit endlich jemand da ist, der ihr Leben mal ein bisschen auf Vordermann bringt.«
Wow. Er musste diese Sachen heimlich gelesen haben, womöglich mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke, damit niemand auf die Idee kam, seine Männlichkeit infrage zu stellen. Entweder war er tatsächlich über beide Ohren in Andrea verliebt, oder er war notgeil im Endstadium.
»Diese Typen sind alle unglaublich fies und aggressiv, und jeder macht sich gleich ins Hemd, wenn sie nur vorübergehen, und dann lernen sie irgendein Mädchen kennen, und mit einem Schlag sind sie gar keine Superalphas mehr, sondern nur noch missverstandene kleine Jungs, die ganz dringend mal über ihre Gefühle reden wollen.«
»Schon klar, aber worauf willst du hinaus?«
Er sah mich an. »Ich kann nicht so sein. Wenn es das ist, was sie will, dann sollte ich mir die Mühe wohl besser sparen.«
Ich seufzte. »Neigst du nicht auch zu irgendeinem harmlosen kleinen Kostümfetisch? Das Zimmermädchen? Die Krankenschwester? … «
»Die katholische Internatsschülerin.«
Bingo. »Und du hättest doch nichts dagegen, wenn Andrea hin und wieder eine entsprechende Schuluniform tragen würde, oder?«
»Nein, hätte ich nicht.« Seine Augen wurden glasig, und er entschwand in irgendeinen Tagtraum.
Ich schnippte mit den Fingern. »Raphael!«
Er sah mich blinzelnd an.
»Ich schätze mal – aber das ist jetzt wirklich nur eine weit hergeholte Vermutung – , dass Andrea umgekehrt nichts dagegen hätte, wenn du dich hin und wieder als Pirat verkleiden würdest. Aber ich würde dir nicht raten, irgendwelche Verwandten von ihr zu entführen, um sie zu erpressen, dass sie eine Nummer mit dir schiebt. Das würde nämlich damit enden, dass sie dir einen Kopfschuss verpasst. Oder gleich mehrere Kopfschüsse. Und zwar mit Silberkugeln.«
Raphael schien ein Licht aufzugehen. »Ach, so ist das.«
»Apropos, wo wir schon mal beim Thema sind: Vielleicht könntest du mir auch etwas erklären. Mal angenommen, es gibt da ein Alphamännchen. Und weiter angenommen, dieses Männchen hegt Sympathien für ein bestimmtes Weibchen. Wie würde das Männchen es anstellen … « Sie zu umwerben? Ihr den Hof zu machen? Wie sollte man das ausdrücken?
»Sie flachzulegen, meinst du?«, erwiderte Raphael.
»Ja. Genau.«
Er lehnte sich zurück. »Nun ja. Dazu muss
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