Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
wieder hinführen?«
»Drei Fragen: Was machen die hier? Wieso wollen sie Julie haben? Und was ist mit ihrer Mutter geschehen?«
Andrea schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber das ist auch nicht mein Fachgebiet. Ich bin ein guter Schütze und repariere alle möglichen Geräte. Und ich kenne mich mit der Nachwende-Resonanztheorie aus. Wenn du aber was Mythologisches von mir wissen willst, muss ich passen.« Sie grinste. »Aber ich werde gut auf dein kleines Mädchen aufpassen.«
»Tut mir leid, dass ich dich einfach so damit belaste.«
Sie sah zu Derek hinüber. »Ich wünschte, man würde aufhören, so einen Eiertanz um mich herum aufzuführen. Das muss jetzt getan werden, und deshalb werde ich es tun. Ich muss sowieso momentan im Sektionsgebäude bleiben. Es ist Vorschrift, dass während eines Flairs immer mindestens ein Ritter dort anwesend ist. Ich werde gut auf die Kleine aufpassen.«
Ich zögerte. Wenn irgendjemand mir in dieser Lage helfen konnte, dann Andrea. Sie war eine musterhafte Ritterin und kannte sämtliche Vorschriften auswendig.
»Was ist?«, fragte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Soll ich ein Gesuch ausfüllen mit der Bitte um Zuflucht?«
Andrea runzelte die Stirn. »Machst du dir Sorgen wegen der Klausel über die Gefahr für die Menschheit?«
»Ja.«
Das Gute an so einem Bittgesuch um Zuflucht war, dass die Ritter Julie, solange die Zuflucht währte, vor allen Gefahren schützen würden. Doch wenn sie dieses Bittgesuch unterschrieb, unterstellte sie sich damit auch der Obhut des Ordens, und das bedeutete, dass auch sie selbst unter die Gefahrenklausel fiel. Und wenn sie tatsächlich eine unmittelbare Gefahr für die Menschheit darstellen sollte, waren die Ritter des Ordens verpflichtet, sie ohne Umstände zu töten. Nun zählte es zwar nicht zu den Gewohnheiten des Ordens, kleine Mädchen umzubringen, aber ich wusste, dass zumindest Teds Auffassung nach das Wohl der Mehrheit höher zu bewerten war als das Leben eines Einzelnen. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, weshalb die Schnepfenviecher und der Hirtentyp hinter Julie her waren. Daher war es theoretisch durchaus denkbar, dass es sich bei ihr um ein den Formoriern prophezeites Kind handelte, dem es vom Schicksal bestimmt war, den Untergang der Welt herbeizuführen. Es waren schließlich schon seltsamere Dinge geschehen. Und ich wollte Julie nicht mit aufgeschlitzter Kehle wiedersehen. Ich war mir sicher, dass sie ihr ein schnelles Ende bereiten und sie nicht leiden lassen würden, doch diese Vorstellung tröstete mich nicht nennenswert.
Andrea lächelte. »Die gute Nachricht ist, du musst gar kein Bittgesuch stellen. Sie ist eine Waise, und irgendwelche Verwandtschaft ist nicht bekannt. Laut Vorschrift siebzehn kannst du, da sie noch nicht im vertragsfähigen Alter ist, die einstweilige Vormundschaft über sie übernehmen. Du musst nur das Formular 240-M ausfüllen, dann wird sie aus Sicht des Ordens zu deinem Mündel. Und während eines Flairs dürfen sämtliche Familienangehörige der Ordensmitarbeiter Zuflucht im nächsten Ordensgebäude nehmen, ohne unter die Klausel hinsichtlich der unmittelbaren Gefahr für die Menschheit zu fallen. Dann sind die Ritter, solange sie niemanden tätlich angreift, nicht berechtigt, sie zu neutralisieren.«
»Ich weiß nicht, ob sie so etwas unterschreiben würde. Sie glaubt, ihre Mutter sei noch am Leben. Und ich glaube das übrigens auch.« Zumindest hoffte ich es. »Das könnte sie auf ungute Gedanken bringen.«
»Sie braucht da nichts zu unterschreiben. Das ist ja das Schöne: Das Einzige, was du neben deiner eigenen Aussage brauchst, ist die Aussage eines Ritters, der bestätigt, dass du in ihrem besten Interesse handelst.« Sie grinste über beide Wangen. »Und du Glückspilz kennst sogar so einen Ritter, der dir das gern bestätigen wird.«
»Danke«, sagte ich, und es kam von Herzen.
»Gern. So was macht mir Spaß. Ich komme nämlich schon fast um vor Langeweile. Wenn die Magie kommt, verziehen wir uns in den Keller, und wenn sich während einer Technikphase die Kampfschnepfen blicken lassen, müssen ihre Köpfe als Zielscheiben herhalten.«
Die Tür flog auf. Julie rannte mit dem Kopf voran gegen Derek und schlug in seinen Armen um sich. Er hob sie hoch. »Was ist? Sprich!«
Sie spannte sich an und spie ein einziges Wort aus: »Vampir!«
Es wartete oben auf meinem Schreibtisch auf mich: ein haarloses, ausgezehrtes, albtraumhaftes Wesen, in stahlharte Muskelstränge
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