Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Bestien würde dich belügen. Er würde dir sagen, dass er dich liebt, dass du sein Ein und Alles bist, dass er alles aufgeben würde, um mit dir zusammen zu sein und dich zu beschützen. Ich würde dich niemals anlügen. Ich würde dir keine Versprechen geben, die ich nicht halten kann. Ehrlichkeit, Kate. Ich biete dir Ehrlichkeit.«
Wie konnte ein so intelligenter Mann so dumm sein? Es war, als hätte er sich in etwas hineingesteigert, das er nicht mehr stoppen konnte. Er hatte das Terrain der Vernunft weit hinter sich gelassen. »Saiman, halt endlich die Klappe, verdammt!«
»Heute Nacht gehörst du nur mir. Küss mich, Kate. Lass dich von mir umarmen. Ich wette, das ihn das rasend macht.«
Saiman griff nach mir. Ich trat einen Schritt zur Seite.
Etwas zerbrach in Currans Augen. Er setzte sich in Bewegung, auf uns zu, mit gemessenen Schritten, ohne Eile, den Blick fest auf Saiman gerichtet.
Wenn Curran ihn zu fassen bekam, würde er ihn töten. Mir blieben nur wenige Sekunden, um das zu verhindern.
Ich trat vor Saiman. »Bleib hinter mir.«
»Er wird mir nichts antun. Nicht hier. Das hätte ernste Folgen für ihn.«
»Das interessiert ihn nicht.« Saiman wusste, dass eine Gesellschaft nach bestimmten Regeln funktionierte, und solange er sich an diese Regeln hielt, war er in Sicherheit und wurde respektiert. Keine Emotion konnte ihn so tief erschüttern, dass er in Erwägung zog, diese Regeln zu verletzen. Er war nicht in der Lage, sich vorzustellen, dass Curran alles über Bord werfen würde, um die Gelegenheit zu nutzen, Saiman an die Gurgel zu gehen.
Curran schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch. Ich ging auf ihn zu. Eine Waffe. Ich brauchte eine Waffe. Rechts von mir saß ein Pärchen an einem Tisch und lachte. Zwischen ihnen stand eine fast leere Weinflasche auf dem weißen Tischtuch. Ich schnappte mir die Flasche und ging weiter.
Currans Augen leuchteten.
Ich zeigte ihm die Flasche. Du wirst Saiman nicht kriegen. Ich beschütze ihn.
Er legte einen Zahn zu. Das ist mir egal.
Ich packte die Flasche und suchte mir einen Platz zwischen zwei Tischen aus. Gut. Komm her. Du wolltest mit mir reden. Also reden wir.
Ein Mann betrat den Raum. Er war zierlich gebaut und trug einen Sherwani, einen langen indischen Mantel, der prachtvoll mit scharlachroter Seide und goldenen Fäden bestickt war. Glitzernde Edelsteine durchsetzten die Stickereien. Sein dunkler Schädel war haarlos. Er hielt einen mit dem goldenen Kopf einer Kobra verzierten Stock – wie ich ihn kannte, war das Stück vermutlich echt. Nataraja, der ortsansässige große Kahuna der Freien Menschen. Er vertrat die Interessen des Volks in Atlanta und erstattete Rolands innerem Zirkel Bericht.
Hinter ihm tauchte die hagere Gestalt Ghasteks auf, gleich neben Rowena, einer atemberaubenden Rothaarigen, die in ein betörend schönes indigofarbenes Kleid gehüllt war. Weitere Herren der Toten folgten. Das Volk war eingetroffen.
Nataraja sah Curran, zog eine Grimasse und rief leicht gelangweilt: »Das Volk grüßt den Herrn der Bestien.«
Curran blieb abrupt stehen. Die Wut in seinen Augen brodelte. Er schluckte sie hinunter und riss sich zusammen. Zweifellos war eine gewaltige Willensanstrengung nötig, um das zu tun. Es machte mir eine Heidenangst.
Currans Lippen bildeten ein Wort: Später.
Ich ließ die Flasche gegen meine andere Hand klatschen und antwortete auf die gleiche Weise: Jederzeit.
Curran kehrte uns langsam den Rücken zu. Seine Stimme klang gleichmäßig und klar. »Der Herr der Bestien grüßt das Volk.«
Er deutete mit einer Hand auf das Privatzimmer, das er gemeinsam mit Nataraja betrat.
*
»Wir müssen verschwinden«, knurrte ich.
Saiman zuckte mit eleganter Lässigkeit die Schultern. »Du machst dir zu viele Sorgen.«
Zwanzig Minuten waren vergangen, seit das Volk und der Rudelrat im Privatzimmer verschwunden waren, aber ich hatte es nicht geschafft, Saiman von hier wegzubringen. Er trank weiter. Vorhin hatte er sich Mut angetrunken, nun trank er, um die überstandene Geduldsprobe zu feiern.
Saiman lebte in seiner eigenen egozentrischen Blase. Für ihn gab es nichts Wichtigeres als Geld und Einfluss. Wer die Regeln der Elite von Atlanta brach, würde beides verlieren. Saiman kannte keine Emotionen, die so stark waren, dass er dazu verleitet wurde, die Regeln zu verletzen. Er kapierte einfach nicht, dass Curran aus völlig anderem Holz geschnitzt war.
Curran fühlte sich sogar zu Gewalttätigkeiten verpflichtet.
Weitere Kostenlose Bücher