Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
liegenden moschusartigen Großkatzengeruch. Also doch kein Bär.
Wo war er? Ich ließ den Blick über das Gebäude schweifen, spähte hinein in die Dunkelheit. Mondschein drang durch Löcher in den Mauern, schuf ein Trugbild aus Zwielicht und Finsternis. Ich wusste ganz genau, dass er mich beobachtete. Und es genoss.
Diplomatie war noch nie meine Stärke gewesen, und allmählich ging mir die Geduld aus. Ich bückte mich und rief: »Miez, Miez, Miez!«
An der Wand gegenüber leuchteten zwei goldfarbene Augen auf. Eine Gestalt regte sich in der Dunkelheit und erhob sich, trug diese Augen immer höher. Eine riesenhafte Pranke schob sich in den Mondschein, und Furcht einflößende Klauen fuhren aus und wieder ein. Dann folgte eine riesige Schulter, und das graue Fell darauf war von rauchfarbenen Streifen überzogen. Der riesenhafte Leib bewegte sich weiter auf mich zu, ich verlor das Gleichgewicht und fiel mitten im Dreck auf den Allerwertesten. Gütiger Gott, das war ja nicht nur irgendein Löwe. Dieses Wesen hatte eine Schulterhöhe von mindestens anderthalb Metern. Und wieso hatte er gestreiftes Fell?
Die Riesenkatze ging um mich herum, halb im Licht, halb im Schatten, und die dunkle Mähne bebte bei jeder Bewegung. Ich rappelte mich hoch und wäre dabei fast an die graue Schnauze gestoßen. Wir sahen einander an, der Löwe und ich, auf Augenhöhe. Dann wandte ich mich ab und begann mir auf äußerst würdelose Weise die Jeans abzustauben.
Der Löwe verschwand in einer dunklen Ecke. Ein Flüstern der Macht pulsierte durch den Raum. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich angenommen, dass er gerade die Gestalt gewandelt hatte.
»Miez, Miez, Miez?«, fragte eine kühle Männerstimme.
Ich zuckte zusammen.
Kein Gestaltwandler konnte sich übergangslos vom Tier zum Menschen verwandeln. In eine Zwischenform, das ja, aber diese Zwischenformen hatten Schwierigkeiten mit dem Sprechen.
»Ja«, sagte ich. »Ich bin schlecht vorbereitet. Das nächste Mal bringe ich ein Schälchen Milch und einen Topf Katzenminze mit.«
»Wenn es ein nächstes Mal gibt.«
Ich wandte mich um, und da stand er: in einem weiten T-Shirt und einer Trainingshose. Ein bescheidener Gestaltwandler. Wie erfrischend. Man wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass er gerade die Gestalt gewandelt hatte. Das Einzige, was darauf hindeutete, war seine schimmernd feuchte Haut.
Er musterte mich ausführlich. Ich hätte sittsam erröten oder es ihm gleichtun können. Und ich entschied mich gegen das Erröten.
Einen halben Kopf größer als ich, vermittelte der Herr der Bestien den Eindruck von geballter Macht. Er hatte blondes Haar, zu kurz geschnitten, um hineingreifen zu können. Auf den ersten Blick sah er nach Anfang bis Mitte zwanzig aus, doch dann verriet ihn sein Körperbau. Seine Schultern dehnten das T-Shirt. Sein Rücken war breit und muskulös, zeigte die Kraft eines Mannes von Anfang dreißig.
»Was ist das für eine Frau, die den Herrn der Bestien mit ›Miez, Miez, Miez‹ anspricht?«, fragte er.
»Offenkundig eine ganz besondere Frau«, murmelte ich zur Antwort. Schließlich musste ich ihm in die Augen blicken. Also brachte ich es besser hinter mich.
Der Herr der Bestien hatte kantige Gesichtszüge. Seine Nase war schmal, mit einem etwas unförmigen Rücken, so als wäre sie mehr als einmal gebrochen und nicht richtig zusammengewachsen. Angesichts der regenerativen Kräfte der Gestaltwandler musste ihm schon jemand mit einem Vorschlaghammer ins Gesicht geschlagen haben.
Unsere Blicke trafen sich. Kleine goldfarbene Funken tanzten in seinen grauen Augen. Bei seinem Blick wollte ich unwillkürlich die Augen niederschlagen.
Er betrachtete mich, als wäre ich eine reizvolle Zwischenmahlzeit. »Ich bin der Herr der Freien Bestien«, sagte er.
»Das habe ich mir schon gedacht.« Erwartete er vielleicht einen Knicks von mir?
Er beugte sich ein wenig vor und betrachtete mich verwundert, so als wäre ich ein seltsam aussehendes Insekt. »Wieso engagiert ein Protektor des Ordens irgendeine dahergelaufene Söldnerin, um den Tod eines Wahrsagers aufzuklären?«
Ich schenkte ihm mein bestes geheimnisvolles Lächeln.
Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Was hast du herausgefunden?«, fragte er schließlich.
»Es ist mir nicht gestattet, darüber zu sprechen.« Und schon gar nicht mit einem Verdächtigen.
Er beugte sich noch weiter vor, ließ den Mondschein auf sein Gesicht fallen. Sein Blick war direkt und schwer zu
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