Stadt der Fremden
würde.
Eines Abends fanden wir weder Ez noch Ra zum angesetzten Zeitpunkt ihrer Übertragung. Keiner von beiden reagierte auf unsere Anrufe. Das sah Ez ähnlich, nicht aber Ra.
Ez war an keinem seiner bevorzugten Orte. Wir durchsuchten die gefährlichen Korridore der Botschaft: Keiner hatte ihn gesehen. Wir versuchten, Mag oder Da anzurufen, die oft mit Ra zusammen waren, doch auch sie antworteten nicht.
Wir fanden alle vier in MagDas neuen Räumlichkeiten hoch oben in der Botschaft. Mehrere von uns waren da: Polizisten und neue Personalmitarbeiter wie ich. Als wir in das letzte Stück Flur einbogen, erblickten wir eine Gestalt, die an der Apartmenttür kauerte. Wir richteten unsere Gewehr-Dinger auf sie, doch sie bewegte sich nicht.
Es war Da. Während ich mich ihr näherte, glaubte ich, sie wäre tot. Doch dann schaute sie voller Verzweiflung zu uns hoch.
Hinein in die Zimmer und zu einer schrecklichen Szene. Still wie ein Diorama. Mag hockte auf dem Bett, in exakt der gleichen Haltung wie Da draußen, nur die Wand stand zwischen ihnen. Auch sie schaute zu uns hoch – und dann wieder auf den toten Mann neben ihr. Es war Ra, völlig verwüstet mit Blut. Ein Griff ragte wie ein Hebel aus seiner Brust.
Ez saß ein Stück weit von den beiden entfernt. Er rieb sich über Kopf und Gesicht, wobei er sich mit Blut beschmierte, und heulte. »… Ich hab es wirklich nicht getan … Es war nicht … o Gott … Es war … Schaut … Ich … Ich bin so … Es …«, stotterte er, und er stammelte weiter. Als er uns erblickte, bemerkte ich zwischen all seinen Gefühlen – das schwöre ich – eine Scham, die größer war als nur die für einen toten Mann: Er wusste, was er uns allen angetan hatte. Meine Hand zuckte unentwegt, als ob ich das Ding aus Ra herausziehen würde.
Später fanden wir heraus, dass sie zuerst anscheinend über MagDa gestritten hatten. Das war nur eine Ablenkung gewesen, ein Aufgebot von wenig überzeugenden Banalitäten, um andere, tieferliegende Ängste und Feindseligkeiten auszudrücken. Die oberflächlichen Einzelheiten spielten wirklich keine Rolle. Es ging nicht um das, was auch immer sie schrien, als sie umhertasteten und sich die Werkzeuge als tödlich erwiesen.
Wir waren nicht sehr an Mord gewöhnt. Ich war es nicht, die Ras Augen schloss; doch ich war diejenige, die die Hand von Mag hielt und sie wegführte. Wir hatten nicht viel Zeit, um angemessen zu trauern: Die Auswirkungen dieser Situation waren offenkundig. Ich dachte bereits an den winzigen Vorrat von Reden, die wir von EzRa vorweg auf Datchip aufgenommen hatten.
Als ich zurückkehrte, schleppten die anderen Ez fort und brachten Da zu ihrem Doppel. Ich sicherte den Schauplatz ab. Ein paar Minuten war ich allein mit Ras Leichnam.
»Musstest du das tun?«, fragte ich. Ich glaube, ich habe es laut geflüstert. Ich strengte mich sehr an, dass ich mich zusammennahm, und hatte damit Erfolg. »Hättest du nicht nachgeben können?«
Ich legte meine Hand auf Ras Gesicht. Ich blickte auf ihn und schüttelte den Kopf – und wusste, dass Botschaftsstadt und ich und all die Botschaftsstädter sterben würden.
Fünfter Teil
NOTIZEN
14
Wir hielten den Toten tagelang versteckt. Wir fühlten uns erbärmlich wegen der Geheimhaltung. Es würde eine Panik geben, sobald Botschaftsstadt davon erfuhr. Ich konnte mich selbst nicht davon überzeugen, dass eine Panik in drei Tagen viel schlimmer sein würde, als wenn es sie jetzt gäbe: Dennoch verbargen wir ihn, es war wie ein Reflex.
Wir hatten nur ein paar Aufzeichnungen von EzRa. Ez war vorsichtig gewesen. Einmal wagten wir es, eine Rede zu wiederholen, welche die Ariekei zuvor gehört hatten; doch das Filmmaterial, das wir dann sahen, versetzte uns in Schrecken: Wir erblickten Bestürzung und Kämpfe, zu denen wir aufgebrachte Zuhörer angestachelt hatten. Das versuchten wir nicht noch einmal. Wir hatten Material für vielleicht zwanzig Tage. Wenn wir etwas davon für die Gastgeberstadt spielten, hielten wir es so kurz, wie wir es nur wagen konnten.
Neue Hierarchien setzten sich unter den Gastgebern durch – nach allem, was wir erkennen konnten. Wir verstanden sie nicht.
Nach dem Mord glichen sich MagDa das erste Mal seit Tagen wieder an. Elegant, ernst und absolut identisch betraten sie den Tagungsraum, in dem wir uns versammelten. Ich vermochte nicht zu sagen, ob es eine gute oder schlechte Reaktion war. Jedenfalls dauerte es nicht an.
Sie nahmen einige Beileidsbekundungen entgegen.
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