Stadt der Fremden
Sie hatten nichts an Autorität verloren und blieben unsere De-facto-Anführerinnen: Sie hörten zu, argumentierten und trugen uns ihre Gedanken und Beinahe-Befehle an. Weil ich MagDa gehorchte – und aus einer gewissen Laszivität heraus – wurde ich Ez’ Aufseherin.
Er wollte reden und schwankte zwischen Selbstrechtfertigung, Selbstekel, Ärger und Bedauern. Ich saß in dem Zimmer, in dem erfestgehalten wurde, und hörte zu. Zuerst versuchte ich, die Einzelheiten von dem, was passiert war, herauszubekommen. »Was ist da überhaupt geschehen?«, fragte ich einmal MagDa. Sie blickten müde. Eine von ihnen schüttelte ihren Kopf, und die andere erwiderte: »Darum geht es wirklich nicht.« Dieser Ausgang der Geschichte war schon lange abzusehen gewesen.
Viele unter uns plädierten dafür, Ez einfach ein Ende zu bereiten. Ich und andere argumentierten dagegen. MagDa schlugen sich auf unsere Seite, und das war es, was den Streit beilegte. Sie kalkulierten, dass letztendlich ein Übermaß an Gnade bessere Folgen für sie haben würde als Rachsucht. Selbst zu jener Zeit, als niemand von uns wirklich glaubte, wir hätten noch eine Zukunft, planten MagDa für sie.
Ich bemitleidete Ez, obgleich ich ihn natürlich auch verachtete. Ich hatte den Eindruck, dass eine so schockierende Handlung wie die, die er begangen hatte, jemanden verändern sollte; dass er sich entweder bessern oder sich völlig zu einem Monster entwickeln sollte. Doch dass er jemanden töten konnte und die erbärmliche Figur blieb, die er früher war, entsetzte mich. Er war dumm vor Verbitterung. Auf all meine Fragen antwortete er mit der Ungehobeltheit eines Kindes. Er wollte damit fortfahren, mir sein Leben zu erzählen, wie er es mit Ra in Sprache für die Gastgeber getan hatte. An der Stelle, wo sie aufgehört hatten, machte er weiter.
Mit vielem kam er nicht ins Reine. Er erzählte uns nicht, was seine ursprüngliche Aufgabe gewesen war, die er – da war ich mir sicher – gehabt hatte: Seine und Ras zugedachte Rolle bestand darin, die Macht von Botschaftsstadt zu untergraben. Seine Beweggründe für seine Verschwiegenheit waren undurchsichtig, doch es gab Beweggründe.
Ich weiß nicht, wie die Kunde von Ras Tod – dass er eigentlich, wie ich annehme, zu Ra geworden war – nach draußen gelangte, doch die Nachricht von seinem Tod und damit auch die von EzRa verbreitete sich. Ein Wächter; eine defekte Vesp-Cam; ein Botschafter; ein Doppel, der es seiner momentanen Partnerin mitteilte, nur weil es etwas war, das gesagt werden konnte. Dieses Wissen schien einfach in Botschaftsstadt aufzuwallen. Am vierten Tag nach RasTod erwachte ich von Kirchenglocken. Religionsgemeinschaften riefen ihre Gläubigen. Bald, so erkannte ich, würde das bloße Wissen, dass es nichts gab, was wir vom Botschaftspersonal machen konnten, die Massen nicht davon abhalten, zu uns zu marschieren und uns aufzufordern, irgendetwas zu tun. Botschaftsstadt würde fallen, vielleicht sogar bevor die schmachtenden Ariekei uns holen kamen. In der Zeit, die nur mir gehörte, begann ich wieder Scile zu suchen. Ich tat dies aus verschiedenen Gründen, von denen der wichtigste ein Gefühl plötzlicher Dringlichkeit war – eine Empfindung, dass er möglicherweise all das aus seiner verschrobenen Perspektive verstand, dass er mir helfen könnte oder wollte.
Nach dem, was CalVin dank Sciles Mitarbeit getan hatten, war ich bemüht gewesen, nicht herauszufinden, welche anderen Botschafter an der Hinrichtung von surl | tesh-echer mitschuldig waren. Ich vermochte es nicht, darüber nachzudenken. Ob aus Feigheit oder aus Pragmatismus, ich wusste es nicht. In jenen späteren Tagen war dieses Unwissen eine Erleichterung: Gerade damals war es eh schon schwer genug, in Botschaftsstadt zu leben, auch ohne mit jenem Mord im Kopf eine Beziehung zu meinen neuen Kollegen herzustellen. Zum Schluss traf ich mit CalVin zusammen, und zwar bei einer Versammlung von Botschaftern. Dort befanden sich sowohl diejenigen von ihnen, die in MagDas Komitee mitwirkten, als auch die Botschafter, die zu liederlich oder zu ängstlich dafür waren.
Ich ging direkt auf die beiden zu. »Wo ist er?«, fragte ich Vin. »Scile.« Diesmal verwechselte ich ihn nicht mit seinem Doppel.
Keiner von beiden gab mir eine Antwort.
Bren rief mich an. »Leute werden angegriffen. In der Carib Alley.«
Ein Rabenvogel brachte Polizisten, MagDa und mich zum Unruheherd am Rand von Botschaftsstadt. Bren war bereits unten am Boden
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