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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Wyatt rieb sich die Augen.
    »Es ist einfach die Art, wie sich die Geschichte einer Gesellschaft entwickelt«, meinte er. »Es ist Pubertät. Alle Kolonien tun das. Wir können unsere verfluchten Uhren nach euch stellen. Das ist meine fünfte Stationierung. Vor diesem Job hier war ich in Chao Polis, auf Dracosi, auf Berit Blue. Sagt euch das etwas? O Gott, lest ihr denn gar nichts? Ladet ihr nicht das Dat auf, das in den Flapos kommt? Ich bin ein Spezialist. Sie schicken mich zu Außenposten, die Streit suchen.«
    »Du unterdrückst also die Sezession«, hielt ihm Bren vor.
    »Gott, nein«, verteidigte sich Wyatt. »Du magst hier der mysteriöse alte Mann sein, doch ich bin aus dem Außen, und du kannst deine Ahnungslosigkeit nicht vor mir verbergen. Berit Blue hat sich wirklich abgespalten, nur mit dem allerkleinsten Krieg.« Er hielt Daumen und Zeigefinger ein winziges Stück voneinander getrennt, um zu zeigen, wie klein der Krieg gewesen war. »Dracosis Unabhängigkeit war vollkommen friedlich. Chao Polis ist gerade dabei, mit uns einen Plan für eine regionale Autonomie zu entwickeln. Für wie primitiv hältst du uns, Bren? Sie sind frei … und sie gehören dennoch uns.«
    Er ließ das erst einmal sacken.
    »Doch es gibt Ausnahmen«, fuhr er schließlich fort. »Ihr seid zu weit von Bremen entfernt, zu schwer zu erreichen für eine einfache Handhabung. Und ihr seid noch nicht bereit. Ihr hättet so schnell keine Unabhängigkeit erlangt. Es ist die Schuld von Sprache : Das hat euch verwirrt. Ihr glaubt, ihr seid Aristokratie. Ihr glaubtet , sollte ich besser sagen. Und dass diese Kolonie euer Besitz war. Und ihr hattet in gewisser Weise nicht ganz unrecht: Im Unterschied zu jederanderen Aristokratie, die ich jemals gesehen habe, seid ihr wirklich unentbehrlich. Wart es. So habt ihr seit undenklichen Zeiten eure Nachfolger selbst bestimmt. Herzlichen Glückwunsch! Ihr habt erbliche Macht erfunden. Doch jeder von euch, jeder Botschafter und jeder Wesir, jedes Mitglied des Personals, ist ein Angestellter von Bremen. ›Botschafter‹: Versteht ihr das? Was glaubt ihr, für wen ihr sprecht? Wir können jemanden einstellen, und wir können jemanden feuern. Und wir können jemanden ersetzen.«
    EzRa waren ein Test gewesen. Eine Operation, um unseren Botschaftern die Macht zu entziehen und die Autonomie zu behindern. Ihr Erfolg hätte alles verändert. Im Verlauf von zwei, drei Schiff-Wechseln wäre das Gesellschaftssystem dieses Außenpostens gestürzt worden. Wenn andere als unsere Botschafter Sprache beherrschen könnten, wäre es möglich gewesen, Apparatschiks, Karrierediplomaten und Getreue für ein paar örtliche Jahre nach Botschaftsstadt zu schicken. Und dann wären wir bald auf Bremen angewiesen gewesen, um zu überleben. Unsere Botschafter würden langsam sterben, eine Hälfte nach der anderen, ein Doppel nach dem anderen; und man würde sie betrauern, aber nicht ersetzen. Der Kinderhort würde schließen. Die Krankenstation wäre leer, wenn der Tod die Misslungenen zu sich genommen hätte, und dann gäbe es keine anderen mehr.
    Bremen hätte seine Kontrolle über uns unblutig, elegant und langsam durchgesetzt. Wie könnten wir um Unabhängigkeit bitten, wenn unser Kontakt zu den Gastgebern, die uns versorgten, auf dem Bremen-Personal beruhte? Alles, was Botschaftsstadt besessen hatte, war sein Monopol auf Sprache , und mit EzRa hatte Bremen versucht, es zu brechen.
    Ein Fehler, der eine Welt zerstörte. Nicht ein dummer: nur das allergrößte Unglück. Eine Laune von Psyche und Phonetik. Es ergab Sinn, dass sie es versuchten. Es wäre ein elegantes imperiales Manöver gewesen. Eine Konterrevolution durch Sprachpädagogik und Bürokratie.
    »Bio-Fabrikation ist … gut«, erklärten MagDa. »Sie ist von unschätzbarem Wert.« »Und Mineralien und Gewebe von hier sindauch nützlich. Und ein paar andere Dinge.« »Aber dennoch.« »Komm schon.« »Warum dieser Aufwand?« Wir sind am Arsch der Welt , sagten sie eigentlich. Es gab keinen falschen Stolz und auch kein Bestreiten der Wahrheit. Die meisten von uns hatten sich zu irgendeinem Zeitpunkt gefragt, warum Botschaftsstadt nicht einfach aufgegeben wurde.
    »Ich hätte gedacht, einige von euch würden daraus schlau werden«, erwiderte Wyatt. »Dass ihr begreifen würdet, was vor sich geht.« Er schaute hoch, mir direkt in die Augen.
    Ich stand da und verschränkte meine Arme. Ich sah zu Boden, mein Gesicht war ihm zugewandt. Jeder richtete seinen Blick auf

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