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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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gab es einen unerwarteten Exodus von Gastgebern – manchmal nannten wir sie immer noch so, freilich mit grimmigem Humor – aus ihrer Stadt. Ariekei in kleiner, jedoch wachsender Anzahl fanden die Mündungen und Öffnungen, wo die industriellen Därme die Gastgeberstadt mit den Wiesen der Bio-Fabrikation und dem wilden Land verbanden. Sie folgten diesen Gängen nach draußen.
    »Glauben sie etwa, sie würden dort draußen EzRa finden?« Wir wussten nicht, wohin sie gingen oder warum. Ich dachte, dass sie es vielleicht einfach nicht ertragen konnten, noch länger inmitten derer, die ihre Landsleute gewesen waren, in einem Schlachthaus von Architektur zu leben. Vielleicht war ihr Bedürfnis nach einem ruhigen Tod stärker als ihr Verlangen nach EzRas Stimme. Ich versuchte, bei dieser Vorstellung – bei der Möglichkeit, dass noch mehr davonziehen würden – nicht zu viel Erleichterung oder sogar Hoffnung zu empfinden; doch zaghaft verspürte ich etwas davon.
    Wir exhumierten Ra. Ich sah es mir nicht an.
    Wir dankten Gott, dass er nicht verbrannt oder zu Biomasse verarbeitet worden war. Es waren MagDa gewesen, die seinen Leichnam gerettet hatten: Er hatte keinem Glauben angehört, doch die verzeichnete Tradition seiner Familie war die der schalomischen Unitarier, die jenen gebräuchlichen einheimischen Methoden abschworen. Aus Respekt hatten sich MagDa dafür eingesetzt, dass er auf einem kleinen Friedhof für Anhänger solcher Häresien bestattet worden war.
    Wir warteten wie werdende Eltern, während Ärzte mit den Schaubildern arbeiteten, die Wyatt zur Verfügung stellte. Sie entfernten aus Ras totem Kopf das Implantat, den versteckten Verstärker seines recht normal aussehenden Verbindungselements. Er hatte die Größe meines Daumens und eine Umkleidung aus organischem Material, obwohl es ausschließlich Terretech war. Dadurch kam in mir die Frage auf, ob die Implantate selbst, falls die Bremer Konstrukteure ariekenische Bio-Fabrikate eingesetzt hätten, wie die Gastgeber infiziert worden wären und ob das Ding, das Ez und Ra EzRa sein ließ, süchtig nach ihren Stimmen hätte werden können. Was für eine Theologie das sein würde: ein Gott, der sich selbst anbetet – eine Droge, die süchtig nach sich selbst ist.
    Das Komitee zwang Wissenschaftler herbei, wo auch immer sie noch arbeiteten: aus den Überresten von Krankenhäusern, von den provisorischen Straßenpraxen und natürlich aus der Krankenstation. Wir baten und zwangen andere, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Southel, unsere wissenschaftliche Aufseherin, organisierte die Untersuchungen. Sie verliefen schnell.
    Ich glaube, dass sich Joel Rukowsi, Ez, für einen perfekten Spieler hielt. Meiner Ansicht nach dachte er, sein gebrochenes Aussehen wäre eine Fassade. Wir fragten ihn, warum er nichts von seiner versteckten, eingebetteten Technologie gesagt hatte. Warum er lieber mit dem Rest von uns in den Tod gegangen wäre, als etwas zu unternehmen, das uns allen vielleicht das Leben rettete. Er deutete irgendeine verborgene Agenda an, doch ich glaube nicht, dass er eine Antwort hatte. Er wurde nur von seinen eigenen Geheimnissen aufgefressen.
    Er verstand nicht die Mechanismen und konnte nicht einmal grob beschreiben, wie das Gerät für ihn gearbeitet hatte. Er schaute auf das Einsatzteil, das wir aus Ra herausgeholt hatten und das nun warm in meiner Hand lag.
    »Ich fühle nichts«, sagte er. »Ich wusste nur … wie er empfand, was zu sagen war. Ich weiß nicht, ob es das Ding da war, das es einfacher machte, oder was.«
    Die Wissenschaftler hatten mit Entflechtungs-Techzymen das Filigranwerk aufgetrennt, das es in Ras Geist verstrickt hatte. Seine Nano-Ranken baumelten von ihm herab wie dünnes Haar, sie zuckten in meiner Hand bei der vergeblichen Suche nach Neuro-Materie. Es ahmte die Theta-, Beta-, Alpha-, Delta- und andere Wellen nach, die es bei seinem Gegenstück in Joel Rukowsi aufspürte, und koordinierte die beiden Eingaben zu einem schier unmöglichen Gleichklang. Wie auch immer die Gehirnzustände waren, der Output würde gleich erscheinen.
    »Es ist auch ein Verstärker«, berichtete uns Southel. »Ein Stimulans. Pumpt die Anterior Insula und den Anterior Cingulate Cortex auf. Emp-Zentren.«
    Sie nahm das Ding fort und studierte es. Sie versuchte aufzudecken, was es war und was es tat, versuchte, es auseinanderzunehmen und eine Kopie davon zu erstellen. MagDa verbrachten viele Stunden mit ihr und konzentrierten ihre Energien auf dieses

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