Stadt der Fremden
eigenem Antrieb sagen hörte. Cal blickte nicht zu ihm, als er wegging.
»Vin hat dich vermisst«, erklärte er.
»Wirklich?«
Was auch immer mit Cal passiert war, was auch immer er geworden war – ich war mir sicher, dass er mich so sah wie ich ihn: durch ein Fenster von Erinnerungen, die gemeinsame Abende und Morgen, die Nacktheit und Ficken beinhalteten, das manchmal schön war. Wie hätte ich anders können, als mich der letzten Blicke zu entsinnen, die Vin mir zugeworfen hatte? Ich hatte jenes Verlangen gesehen, dem man vielleicht einen anderen Namen hätte geben können und das Cal vielleicht übelnahm. Weil er glaubte, dass die Zuneigung seines Bruders begrenzt gewesen wäre und ich ihn bestohlen hätte? Weil er nichts dergleichen geben konnte?
Zu meinem allergrößten Schreck schnürte es mir die Kehle zu, und ich musste meine Augen schließen. Eine riesengroße diffuse Trauer, nicht nur für Vin, sondern auch ein wenig für Cal. Ich dachte über die Monate nach, die ich als Geliebte von CalVin verbracht hatte. Ich versuchte, mich an eine Zeit zu erinnern, als beide gleichzeitig mit mir zusammen waren. Ich konnte es nicht. Hatten sie beide jemals mich gleichzeitig berührt, oder war es immer nur einer gewesen und dann eine träge Zeit später der andere, wie ich es mir vorgestellt hatte, es angenommen hatte? Ich schaute auf Cal. Hatte er nur all die Zeit die Lüste seines Doppels toleriert?
Sind du und ich jemals zusammen gewesen? , fuhr es mir durch den Kopf.
»Ohne ihn aufzuwachen. Ich kann mich nicht daran gewöhnen. Ich bin nicht dafür gemacht. Die Wahrheit ist: Es gibt Zeiten, da ist es nicht schlecht. Die Stille ist nicht stets unwillkommen.«
Ich schaute weg; sein schreckliches Lächeln konnte ich nicht sehen.
»Die Wahrheit ist, Avice, dass ich dir nicht sagen kann, ob ich ihn vermisse. Das ist nicht wahr: Ich kann es dir sagen, und ich tue es, aber es ist nicht ein so reines Gefühl. Alles sagen zu müssen, wie ich es tue – oder getan habe … Nun, es ist schlecht, und es ist gut, und es ist schlecht. Ich bin in den Altenheimen gewesen, wo Getrennte sind. Normale Getrennte, die Probleme bereiten, nicht solche wie Bren. Ich weiß nicht … Bin ich jetzt so einer?« Er ruckte mit dem Kopf in Richtung der Tür, durch die Ez weggegangen war. »Dieser Scheißkerl, was? Ganz schön übel, wie sich die Dinge entwickeln können. Ich wollte sagen … Ich weiß nicht, was ich sagen wollte. Ich tue, was ich tun muss.«
»Was ist es, was du tust, Cal? Warum musst du es?« Ich fragte dies, obgleich ich nicht beabsichtigt hatte, es anzusprechen oder mich darin zu verwickeln, egal, worum es sich handelte. »Wir haben das schon einmal versucht, Cal. Du hattest Armeen aufgestellt, und es war eine Katastrophe …«
»Avice, bitte.« Er schüttelte den Kopf und zögerte, als ob er sich sehr stark bemühte, zu überlegen, wie er etwas mitteilen sollte. »Es waren gemeinsame Streifengänge, die nicht funktionierten. Du wirst schon sehen, was wir jetzt machen. Das ist anders. Wie dem auch sei – was würdest du lieber machen? Wir können sie nicht hier hereinkommen lassen … Und hast du nicht selbst gesehen?« Er gestikulierte erneut hinter Ez her. »Ich kann sie dazu bringen, alles zu tun, was ich will.«
»Nun …«
»Nun, jedenfalls geht es nicht wirklich darum. Ich will … Wir wollen Schutzvorkehrungen rund um die Gastgeberstadt. Das brauchen wir, aber das ist nicht das, worum es eigentlich geht. Es geht eigentlich um die Truppen, die nach draußen vordringen. Ich habe mir eine Menge überlegt.« Er zeigte mit der Hand auf seine Kehle, dorthin, wo seine Stimme entstand. »Über das. Ich habe mir überlegt, wie man sie einsetzt. Ich weiß, warum die ersten Patrouillen fehlschlugen: Wir haben ihnen bloß befohlen, zu patrouillieren. Das war viel zu vage. Doch Aufgaben, das ist etwas anderes. Genaue Angaben. Mit Anfängen und Enden.«
»Welche Aufgaben wirst du ihnen stellen, EzCal?«, fragte ich. Der Lapsus, Cal auf diese Weise zu nennen, war nicht absichtlich.
»Das wirst du sehen. Und du wirst beeindruckt sein, glaube ich. Ich verfahre nicht so, wie du denkst. Ich weiß, was du glaubst, wer ich bin, Avice.«
Ich ging fort. Es war einfach unerträglich.
Ich sah nicht zu, wie Cal mit Ez die ariekenischen Soldaten inspizierte – was für ein Gebärdenspiel! Ich hörte, dass er MagDa zu seinen Assistentinnen machte und sie für ihn sprechen ließ. EzCal konnten dies nicht tun: Es wäre eine
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