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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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selbst im Drogenrausch dazu gebracht wurden, zu gehorchen. »Er … Oh.« »Er hat ihn sich selbst ausgerupft.«
    »Nein!«, entfuhr es mir.
    Was sie verletzen musste, dachte ich, war nicht nur der Verlust ihres – was, Freundes? – an barbarische Grausamkeit gegen sich selbst, die sowohl den Geist als auch den Körper betraf, sodass er nie mehr wieder hören oder sprechen konnte. Sie wollten doch eine Hoffnung sein gegen den revolutionären Selbstmord jener, die mit ihren Fächerflügeln ihr soziales Bewusstsein herausrissen und die zur Nihilisten-Rache wurden. Gab es etwa Rangordnungen unter den Sprache losen? Stellten jene, die es selbst bei sich machten, eine Aristokratie dar, die über den bei Angriffen Rekrutierten stand? Ich schaute auf die vielen Dunkelpunkt-Augen von Spanischer Tänzer, die gesehen hatten, wie sich sein Gefährte den Fächerflügel wie ein Stück Abfall herausgerissen hatte – nach ihren Jahren der Zusammenarbeit an ihrem Projekt, das lange vor diesem Ende der Welt begonnen hatte.
    An unseren Barrikaden-Toren, in rasch tolerierten Rumpfstraßenmärkten – eine Wirtschaft wiederverwerteter lebensnotwendiger Güter –, begannen die Leute wieder, über die Befreiung von außenzu reden. Wann die Hilfe kommen würde, wohin wir gehen würden und wie wohl das Leben für Botschaftsstädter sein würde, die in Bremen im Exil lebten.
    Unsere jetzt wilden Kameras bewohnten die Ebenen. Viele gingen in die Brüche, oder ihre Signale zerfielen. Doch einige schickten immer noch Bildmaterial zu uns.
    Einige legten einen langen Weg zurück, durch ein Gelände, in dem es noch nicht einmal Farmen gab und das jenseits der Transportröhren lag. Ich hörte Gerüchte von einem bestimmten Bildmaterial, bevor ich es sah. Ich lehnte den Gedanken ab, dass es existierte, mir jedoch vorenthalten wurde – gehörte ich nicht dem Komitee an? Doch obschon es fehlschlug, entdeckte ich, dass es einen Versuch gegeben hatte, genau das zu tun. Ich hätte nicht schockiert sein sollen. Eine interne Spaltung, eine feige, hinterhältige Abteilung, die direkt der Gott-Droge berichtete. Es gab noch nicht einmal irgendeine Begründung dafür. Geheimhaltung war eben nur ein Reflex von Bürokraten. Es gab keine Möglichkeit, dass sie diese Dateien kontrollieren konnten: Einen Tag, nachdem die ersten Geschichten darüber zirkulierten, bekam der Rest von uns sie zu sehen.
    Eine Gruppe von uns lud sie am Datspace des Komitees auf. Bren war aufgewühlt. Ich war bestürzt über seine Ungeduld: darüber, dass er offenkundig keine Ahnung hatte, ob das Geflüster über das, was wir zu sehen bekämen, der Wahrheit entsprach. Ich war so sehr daran gewöhnt, dass er Dinge wusste, die er mir nicht erzählte. Ich neckte ihn deswegen in einer ziemlich spröden Weise. Wir beobachteten die Datenspeicher der Cam. Viele Kilometer war sie von uns fort, doch schwerlich in einem anderen Land. Der Beobachtungspunkt der Cam veränderte sich ständig. Sie sauste durch Verengungen. Ich bewegte mich hin und her, um mich von Überhängen fernzuhalten, denen der Rekorder Tage zuvor ausgewichen war. Von hinten sagte irgendein Dummkopf etwas wie: »Warum gucken wir uns das an?«
    Durch einen Schlupfwinkel im Felsgestein gelangte die Cam in ein Tal mit bimssteinfarbener Erde. Plötzlich surrte sie wie ein Vogel erst baum-, dann turmhoch über den Abhang und war auf eineStelle fokussiert, wo sich ein Fluss befunden hatte. Wir keuchten auf. Jemand fluchte.
    Dort war eine Armee. Sie marschierte in unsere Richtung. Dort waren nicht Hunderte von Ariekei, sondern Tausende, Tausende.
    Ich hörte mich »Jesus, Jesus Christus« sagen. Jetzt wussten wir, warum die Gastgeberstadt so leer erschien. »Pharotekton!«, entfuhr es mir.
    Die Mikrofone waren beschissen, doch wir hörten das Geräusch des Marsches, das Auftreten harter Füße, die sich nicht im Gleichklang bewegten. Die Amputierten-Ariekei schrien. Von ihrem eigenen konstanten Pfeifkonzert konnten sie noch nicht einmal wissen, es noch nicht einmal hören. Zwischen ihnen gingen Maschinen entsprechend der stummen Anleitung ihrer Wächter. Die Ariekei trugen Waffen. Dies war die einzige Armee auf dieser Welt, und sie marschierte auf uns zu.
    Die Cam ging näher heran, und wir sahen Tausende von Stummeln von Tausenden von Fächerflügeln. Jeder Ariekei dort war ein Soldat, der nicht Befehlen gehorchte, sondern außerhalb der Gesellschaft in seinem geräuschlosen Solipsismus gefangen war: Er war unfähig zu sprechen,

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