Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
durchsprechen, die sie von der ausgedehnten Infrastruktur hatten und die Herden von Häusern zeigten, oder den Zeitraffer von einer jungen Brücke, die von ihrer Ponton-Zelle bis zur vollen Größe heranreifte und Stadtbezirke miteinander verband, wofür ich allerdings keinerlei Gründe angeben konnte. Scile fragte mich nach der Religion, und ich antwortete ihm, dass die Gastgeber, soweit ich wusste, keine hatten. Ich erwähnte das Fest der Lügen. Scile war nicht der Einzige, der das weiterverfolgen wollte.
    »Aber ich habe geglaubt, sie könnten so etwas nicht«, warf jemand ein.
    »Genau darum geht es irgendwie«, entgegnete ich. »Das Unmögliche anzustreben.«
    »Wie sind die denn so, diese Feste?«
    Ich lachte und erwiderte, dass ich keine Ahnung hatte. Dass ichnatürlich niemals bei einem davon zugegen und niemals in der Gastgeberstadt gewesen war.
    Sie fingen an, untereinander über Sprache zu debattieren. Ich überlegte, wie ich ihnen durch Histörchen ihre Gastfreundschaft zurückzahlen konnte, und erzählte, was mir in dem verlassenen Restaurant passiert war. Wieder hörten sie mir voller Aufmerksamkeit zu. Scile starrte mich mit seiner manischen Genauigkeit an.
    »Sie waren in einem Simile?«, fragte man mich.
    »Ich bin ein Simile«, antwortete ich.
    »Sie sind eine Geschichte?«
    Ich war froh, in der Lage zu sein, Scile etwas zu geben. Er und seine Kollegen waren aufgeregter über die Tatsache, dass man mich zu einem Simile gemacht hatte, als ich es war.
    Manchmal neckte ich Scile, dass er mich nur wollte wegen der Sprache meiner Gastgeber oder weil ich Teil eines Wortschatzes war.
    Das Projekt, an dem er gerade forschte, hatte er zum größten Teil abgeschlossen. Es handelte sich um eine komparative Studie über ein spezielles Set von Phonemen in mehreren verschiedenen Sprachen, die nicht alle nur einer einzigen Spezies oder einer Welt angehörten, was mir nur wenig sinnvoll erschien.
    »Wonach suchst du?«, fragte ich.
    »Oh, Geheimnisse«, erwiderte er. »Du weißt schon. Wesensgehalte. All das, was angeboren ist: Inhärenzen.«
    »Bravo zu diesem hässlichen Wort. Und weiter?«
    »Es gibt nichts weiter.«
    »Mmm. Wie unangenehm.«
    »Das ist miesmacherisches Gerede. Ich werde etwas zusammenflicken. Ein Gelehrter kann niemals zulassen, dass bloße Unrichtigkeit der Theorie in die Quere kommt.«
    »Bravo erneut.« Ich trank auf sein Wohl.
    In jenem Hotel blieben wir viel länger zusammen, als jeder von uns geplant hatte. Und dann, da ich weder Pläne noch einen Auftrag hatte, suchte ich nach Arbeit auf dem Fahrzeug, das Scile auf einer Handelsroute nach Hause brachte. Ich war erfahren und besaß guteReferenzen, sodass es nicht schwer war, den Job zu bekommen. Es war nur eine kurze Reise, etwa vierhundert Stunden oder ein paar mehr. Als ich begriff, wie schlecht Scile auf die Immer-Eintauchung reagierte, war ich sehr gerührt, dass er beschlossen hatte, bei diesem gemeinsamen ersten Mal nicht im Tiefschlaf zu reisen. Es war eine nutzlose Geste: Er ertrug meine Schichten in einsamer Übelkeit, und trotz der Medizin konnte er fast gar nicht mit mir sprechen, wenn ich dienstfrei hatte. Aber auch, wenn mich seine Verfassung irritierte, so war ich doch gerührt.
    Nach allem, was ich mitbekam, wäre es nicht mehr allzu schwer für ihn gewesen, die letzten wenigen Kapitel und Charts auszuformulieren sowie die Tondateien und Trids zu gestalten. Doch Scile verkündete plötzlich, dass er seine Abschlussarbeit nicht einreichen würde.
    »Du hast all diese Arbeit gemacht, und jetzt willst du nicht durch den letzten Reifen springen?«, fragte ich.
    »Scheiß der Hund drauf«, erwiderte er auffallend unbekümmert und brachte mich so zum Lachen. »Die Revolution ist zum Stillstand gekommen.«
    »Mein Armer ist radikal gescheitert.«
    »Richtig. Nun ja, ich war gelangweilt.«
    »Bleib doch dran«, versuchte ich ihn mehr oder weniger zu ermuntern. »Meinst du das überhaupt ernst? Sicherlich wäre es die Sache wert …«
    »Das ist fertig. Das ist Schnee von gestern. Vergiss es einfach. Ich habe jedenfalls andere Forschungsprojekte. Ein Simile. Wie bist du so? « Bei diesem schlechten Scherz beugte er sich vor, schnipste mit den Fingern und wandte sich anderen Dingen zu. Er fragte mich andauernd nach Botschaftsstadt. Es war bemerkenswert, mit welcher Intensität er das Thema verfolgte, doch er verdünnte sein Interesse mit so viel Selbstironie, dass ich sein manchmal obsessives Benehmen teilweise für bloßes Theater

Weitere Kostenlose Bücher