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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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dicke Säule, dicht besetzt mit horizontalen Ästen und Landungsfeldern, zu denen und von denen selbst zu so später Stunde biolumineszente Rabenvögel flogen. Wie etwas Geschmolzenes breitete sich die Botschaft an der Basis aus und wurde ein Teil der Straßen, die sie umgaben. Die Wohnviertel des Personals waren halb verborgen, ebenso sehr zum Inneren der Botschaft gehörig wie zu den Gassen der Stadt. Ehrsul und ich sanken in einem getäfelten Lift nach unten, durch Laufgänge und Korridore, die zu einem Zwischending zwischen Korridoren und Straßen wurden, durch halb offene Arkaden mit unverglasten Fenstern – und dann in die eigentlichen Straßen und in die Brise hinein.
    »Gott, es ist schön, nach draußen zu kommen«, entfuhr es mir.
    »Das sind wir nicht – nicht wirklich«, widersprach Ehrsul. »Wir alle sind stets im Äoli-Hauch.« Ein Raum aus Luft.
    Das ließ mich über sie nachdenken – dass sie nicht Botschaftsstadt verließ, obschon sie es könnte. Sie war nicht programmiert, sich für die Gastgeberstadt zu interessieren, vermutete ich. Ich scheute vor diesen Gedanken zurück. In meinen Räumen schluckte ich noch mehr Wein, und Ehrsul erzeugte aus Kameradschaft Trid-Visionen von einem ähnlichen Glas und ließ ihren Trid-Kopf davon trinken. Sie patchte in meine Station, konnte jedoch im lokalen Netz nichts über die abendlichen Geschehnisse herausfinden.
    »Ich versuche es wieder, wenn ich zu Hause bin«, versprach sie. »Keine Beleidigung – aber deine Maschine … Man hätte wohl mehr Glück, wenn man Felsen zusammenstoßen würde.«
    Ich war schon mehrere Male in ihrem Heim gewesen. Es war winzig und karg, doch es gab Bilder an den Wänden, eine Küche sowie Möbel für Menschen und andere Gäste (ein schöner, obszön aussehender Shur’asi-Hocker). Ihre Wohnung und deren geschmackvolle Ausstattung waren vielleicht ein Gefallen für mich und andere: ihre Bilder, ihr Kaffeetisch, die auf menschliche Gesellschaft abgestimmten Elemente eines Betriebssystems, die sie angenommen hatte – alles dazu bestimmt, sie nutzerfreundlich zu machen.
    Diese Grübeleien fühlten sich erbärmlich an. Ich machte mir Gedanken über EzRa.

Einstmals, 4
    Hasser rief mich an.
    »Woher hast du meine Nummer?«, fragte ich.
    »Bitte«, sagte er. Er klang nicht besonders eingeschüchtert, obgleich ich meine beste »Fick-dich Immer-Eintaucher-Prahlerei« einsetzte. »Es ist nicht schwer, dich aufzuspüren. Komm und lass uns was trinken.«
    »Warum sollte ich kommen und was trinken?«
    »Bitte«, wiederholte er. »Es gibt Leute, die du wirklich kennenlernen solltest.«
    Die Similes trafen sich in einem Teil von Botschaftsstadt, der auf eine liebenswürdige Weise zusammenbrach, in der Nähe unserer jungen Ruinen. Ich nahm eine lange Route, spazierte den größten Teil des Morgens und kam an vielen missachteten, heimatlosen Automa vorbei. Ich passierte sogar die Münzwand und blickte, wie ich es immer tat, auf die Tür.
    Es gibt Slums in Charo-Stadt, und ich habe mehr Zeit in ihrerUmgebung verbracht, als mir lieb ist. Viele der Häfen, in denen ich angedockt habe, liegen in solchen Gebieten oder in deren Nähe: Es ist, als ob die Ausbreitung von Slums eine ansteckende Krankheit wäre, die von Schiffen übertragen würde. Wenn im Verlauf von Botschaftsstadtfeiern Mitglieder von Reformerfraktionen anfingen, den Mund aufzureißen, dann fiel ich ihnen gerne ins Wort. »Slums?«, pflegte ich zu sagen. »Glauben Sie mir, meine Freunde, ich habe Slums gesehen. Sie wissen, wo ich gewesen bin? Ich weiß über Slums Bescheid. Wir haben keine Slums.«
    In Botschaftsstadt gab es keine Kinder, die mit Lumpen behangen waren und die im stinkenden Wasser von Schlaglöchern mit Papierbooten spielten. Es gab keine Leute, die sich selbst für Essen an Immer-Eintaucher und Leute aus dem Außen verkauften oder die auf der Straße Stücke ihrer DNA oder ihres Fleischs an Bio-Piraten verhökerten. Wenn Schiffe aufstiegen und herunterkamen, bebten keine Hütten aus Lehm und Flechtwerk oder brachen alle paar Landungen in sich zusammen. Unsere Gesellschaftsstrukturen waren ziemlich flach, die Unterschiede bei Geld und Macht waren gering. Mit Ausnahme des Personals und der Botschafter.
    Die Wandbildschirme und Projektoren in unseren verwahrlosten Gebieten liefen auf vergessenen Programmschleifen. Einige warben für eingestellte Produkte oder Luxusartikel aus dem Außen, von denen ich wusste, dass von ihnen seit langer Zeit nichts mehr übrig

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