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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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geblieben war. Hier wie andernorts in Botschaftsstadt waren die Wände von Efeu und Alt-Efeu überwachsen und von einem einheimischen Moos-Analogon befleckt, sodass das Licht von diesen Werbungen und der plumpen öffentlichen Kunst von den Schatten der Blätter gesprenkelt war.
    An manchen Stellen verliefen Röhren durch das Blattwerk, eingebettet in Ziegelsteine und Plastone. Sie leiteten Informationen über verbotene, aufrührerische Meinungen an die Bildschirme weiter oder saugten Daten von ihnen ab. Ich spazierte im Schimmer von gehackten Denunziationen über Bremen, von Gewaltandrohungen gegen Wyatt und seinen kleinen Stab. Ein demagogischer Trid-Geist murmelte über Freiheiten, Demokratien und Besteuerung. SelbstWyatt wäre schwerlich allzu besorgt gewesen über diese Botschaften halbherziger Radikaler, obwohl ich sicher bin, dass er die Polizei heftig angegriffen hätte, weil sie solche Graffiti nicht offline gesetzt hatte.
    Ich war in einer Einkaufsstraße, in der man sich auf Leder und Alt-Leder spezialisiert hatte. Bei einem Laden, wo von einem bio-fabrizierten Baum reife Geldbeutel geerntet wurden, roch es nach Gerberei und nach Gedärmen. Die Metzger schnitten geschickt die Börsen herunter, machten einen Schlitz, an dem sie einen Verschluss anbringen würden, holten die Eingeweide heraus und bereiteten die Häute für das Versiegeln vor. Hinten befand sich eine Pflanzung unreifer Regenschirme, dumme Luxusartikel, die schwächlich ihre fledermausähnlichen Dächer bogen. Die Waren aus Alt-Leder waren einfache, mund- und arschlose Dinge, die nicht gelebt haben konnten: Die Innereien, die im Abflussgraben des Ladens herumschwappten, waren unklar und nichtssagend.
    Mindestens ein Dutzend Similes hatte sich in dem Wein-Café namens Die Krawatte versammelt, zu dem ich gehen sollte. Ein Trid-Zeichen stolzierte endlos vor dem Gebäude: eine Gestalt, der es nicht gelang, ihr Halstuch anzulegen. Ich trat durch sie hindurch (eine unerwartete Ausschmückung der Tridware ließ die Gestalt aufblicken, als ob sie erschrocken wäre, bevor die Programmschleife wieder aufgenommen wurde) und dann ins Innere des Cafés.
    »Avice!« Hasser war erfreut. »Darf ich vorstellen … Darius, der Werkzeuge anstatt Schmuck trug; Shanita, die drei Nächte lang blind und wach gehalten wurde; Valdik, der jede Woche mit Fischen schwimmt.« Auf diese Weise ging er durch den Raum herum. »Dies ist Avice«, sagte er schließlich, »die aß, was ihr gegeben wurde.«
    Natürlich waren wir schwerlich all die Similes, welche die Ariekei sprachen. Einige davon waren Tiere oder unbelebt: Es gab ein Haus in Botschaftsstadt, aus dem die Gastgeber viele Jahre zuvor sämtliche Möbel genommen und zurückgestellt hatten, um irgendeine Redefigur zu ermöglichen. Der gespaltene Stein, der so gemacht wurde, damit sie den Gedanken sprechen konnten: Es ist wie der Stein, dergespalten und wieder zusammengesetzt wurde. Doch die meisten waren Terre-Männer und -Frauen: Es gab etwas in uns, das es förderte.
    Sicher interessierten sich viele Similes nicht für ihren Status. Es gab, wie ich mitbekommen hatte, ein oder zwei unter dem Personal. Sogar Botschafter. Sie kamen niemals.
    »Sie mögen es nicht, Sprache zu sein«, erklärte Hasser. »Es gibt ihnen das Gefühl, verletzlich zu sein: Sie lieben es, Sprache zu sprechen, nicht es zu sein. Zudem würden sie dann mit gewöhnlichen Bürgern verkehren müssen.« Er sprach mit der komplizierten Mischung aus Respekt und Missgunst, die ich zuvor gehört hatte und die ich noch viele Male vernehmen würde.
    Wir redeten über Sprache und darüber, was es bedeutete, zu sein, was wir waren. Sie redeten, ich hörte meistens zu. Ich versuchte, die Irritation zurückzuhalten, die durch ihr Gequassel bei mir hochstieg. Immerhin war ich zu ihnen gekommen. Eine überproportionale Anzahl der Similes schien, in unterschiedlichen Abstufungen, Befürworter der Unabhängigkeit zu sein. Sie sagten dies und jenes über Bremens unwissende Führung und deren skrupellose Agenten. Da ich Wyatt kennengelernt hatte, schnaubte ich darüber besonders.
    »Ich erkenne nicht, dass irgendeiner von euch auch je etwas zurückgewiesen hätte, was per Flapo ankam«, warf ich ein.
    »Nein«, antwortete jemand, »doch wir sollten richtigen Handel treiben, statt Scheißsteuern zu zahlen und Hilfen zu leisten.«
    Hasser gab mir in gedämpftem Tonfall, wie ein Wesir in die Ohren eines Botschafters, Informationen über meine Gesprächspartner, während

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