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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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reagierten, und das Spektrum an Themen – oder sein Fehlen –, über die sie redeten, wenn keine Gastgeber dort waren, irritierte mich jedes Mal sehr. Ich denke, ich hatte jedoch ein Gefühl, dass dies ein Ort war, wo Dinge geschehen konnten, und dass dies wichtig war.
    Es gab einen Gastgeber, der Spanischer Tänzer oft begleitete. Er war untersetzter als die meisten, seine Beine waren krummer, und sein Bauch hing mehr hinab, da er sich dem hohen Alter näherte. Aus irgendeinem Grund, an den ich mich nicht erinnere, nannten wir ihn Bienenkorb.
    »Ich habe ihn früher schon gesehen«, berichtete Shanita.
    Er sprach ohne Unterlass, und wir hörten zu, doch es schien eine Mischung aus Halbsätzen zu sein. Wir konnten keinen Sinn in dem erkennen, was er sagte. Ich erinnerte mich, woher ich ihn kannte: mein allererster Ausflug in die Stadt der Gastgeber. Er hatte auf dem Fest der Lügen am Wettbewerb teilgenommen. Er war in ungewöhnlicher Weise fähig gewesen, jenes Zielobjekt der Unwahrheit falsch zu beschreiben. Er hatte dem Ding irgendeine falsche Farbe gegeben.
    »Er ist ein Lügner«, sagte ich, während ich mit den Fingern knackte. »Auch ich habe ihn schon früher gesehen.«
    »Hm«, entfuhr es Valdik. Er sah ziemlich argwöhnisch aus. »Wasspricht er jetzt?« Bienenkorb kreiste um uns herum, er beobachtete uns und fuhr mit seinem Präsentflügel durch die Luft.
    »›Wie dies, wie dies‹«, übersetzte Hasser und schüttelte den Kopf, was bedeutete: Ich habe keine Ahnung. »›Sie sind ähnlich, verschieden, nicht das Gleiche, das Gleiche.‹«
    Die Krawatte war nicht der einzige Ort, an dem wir uns trafen, doch er war bei Weitem der am häufigsten genutzte Treffpunkt. Gelegentlich kamen wir in einem Restaurant nahe den Einkaufsbezirken zusammen, oder an der Kanalseite, auf den Bänken eines anderen Salons. Aber das geschah nur, wenn es im Voraus geplant wurde und aufgrund eines verschwommenen Anstandsgefühls, nicht engstirnig sein zu wollen. Die Krawatte jedoch war der Ort, wohin die Gastgeber kamen, da sie wussten, dass sie uns dort vielleicht finden konnten – und so gefunden zu werden war genau das, worauf es vor allem ankam.
    Die Similes verstanden sich selbst als ein Diskussionssalon, doch nur eine bestimmte Bandbreite von Opposition war statthaft. Einmal versuchte ein junger Mann, uns mit Argumenten zu fesseln, die sich vom Eintreten für die Unabhängigkeit zum Aufrührertum hinwandten – es war gegen das Botschaftspersonal gerichtetes Zeug. Ich musste einschreiten, um ihn vor Prügel zu bewahren.
    Ich führte ihn nach draußen. »Gehen Sie!«, befahl ich ihm. Eine johlende Menge von Similes hatte sich versammelt, die ihm zuriefen, zurückzukommen und zu versuchen, noch einmal die Botschafter anzugreifen.
    »Ich dachte, sie zählten zu den Radikalen«, sagte er. Er sah so verzweifelt aus, dass ich ihn am liebsten umarmt hätte.
    »Dieser Haufen da?«, erwiderte ich. »Das hängt davon ab, wen man fragt. Ja, gemäß Bremen sind sie Verräter. Doch sie sind loyaler zum Botschaftspersonal als dieses zu sich selbst.«
    Plebiszitäre Politik war absurd in Botschaftsstadt. Als ob einer von uns zu den Gastgebern sprechen könnte! Und was die Mannschaft von der Krawatte betraf: Selbst wenn man einmal von der Tatsache absah, dass Botschaftsstadt im Falle einer Abwesenheit aller Botschafter unausweichlich zusammenbräche – wer würde diese Männer und Frauen sprechen, die so stolz darauf waren, Similes für die Gastgeber zu sein?

Neuere Zeit, 7
    Die Ariekei reagierten auf keinen Kontaktversuch. In jenen Stunden, da wir vom Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten waren, zog ich mehr als früher in Betracht, CalVin oder Scile anzurufen und Informationen einzufordern. Bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass sie einiges wussten. Es war nicht die Konfrontation, die mich davon abhielt, sondern die Überzeugung, dass ich nicht in der Lage sein würde, sie genug zu beschämen oder zu drangsalieren, um irgendetwas aus ihnen herauszubekommen.
    Es war Frühling in Botschaftsstadt, und die Kühle löste sich allmählich auf. Von hoch oben in der Botschaft blickte ich über die Dachlandschaft der Stadt zu Tierschiffen und blinkender Architektur. Etwas änderte sich. Eine Farbe oder ihr Fehlen; eine Bewegung, eine Lähmung.
    Ein Rabenvogel erhob sich von einem Landungsfeld der Botschaft und bewegte sich über den Himmel zum Luftraum der Gastgeberstadt. Er flog von einer Stelle zur anderen, schwebte und

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