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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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kamen, redeten wir nicht so viel über bestimmte Dinge. Bevor die Menschen kamen, redeten wir nicht so viel. Bevor die Menschen kamen, redeten wir nicht.‹« Scile blickte mich kurz an. »›Wir gehen nicht auf unseren Flügeln. Wir gehen nicht. Wir schlucken nicht Erde. Wir schlucken nicht.‹« Scile las schnell und nervös. »›Es gibt ein Terre-Wesen, das mit Fischen schwimmt, eines, das keine Kleider trägt, eines, das aß, was ihr gegeben worden war, eines, das rückwärtsgeht. Es gibt einen Felsen, der zerbrochen war und zusammenzementiert wurde. Ich streite mit mir und dann einige ich mich mit mir – wie Felsen, der zerbrochen war und zusammenzementiert wurde. Ich ändere meine Meinung. Ich bin wie der Felsen, der zerbrochen war und zusammenzementiert wurde. Ich war nicht wie der Felsen, der zerbrochen war undzusammenzementiert wurde. Ich mache, was ich immer mache; ich bin wie das Terre-Wesen, das mit Fischen schwimmt. Ich bin diesem Terre-Wesen nicht unähnlich. Ich bin ihm sehr ähnlich. Ich bin nicht Wasser. Ich bin nicht Wasser. Ich bin Wasser.‹«
    Keine der Übersetzungen, die ich jemals von Äußerungen der Gastgeber gesehen hatte, war richtig verständlich; dies aber war anders. Trotz all seiner Seltsamkeit klang es ein wenig, ein kleines bisschen, ähnlicher oder auch weniger unähnlich dem Englisch-Ubiq, als es Sprache sonst tat. Es hatte nicht die normalen eindeutigen und nuancierten Genauigkeiten.
    »Es ist nicht so wie bei den meisten Wettbewerbsteilnehmern, die sich bemühen, eine Lüge rauszuquetschen«, erklärte Scile. »Es ist systematischer. Er trainiert sich selbst in der Unwahrheit. Er gebraucht diese eigenartigen Konstruktionen, sodass er etwas Wahres sagen kann, dann unterbricht er sich selbst, um zu lügen.«
    »Das meiste davon hat er nicht vorgetragen«, warf ich ein.
    »Er hat geübt«, sagte Scile. »Wir haben stets gewusst, dass die Gastgeber dich brauchen, oder? Dich und den Rest von euch. So wie der gespaltene Felsen, so wie sie jene zwei armen Katzen brauchen, die sie in eine Tasche genäht haben. Sie benötigen Similes, um bestimmte Dinge zu sagen, oder? Um sie zu denken. Sie müssen sie in der Welt geschehen lassen, damit sie die Gegenüberstellung machen können.«
    »Ja. Aber …« Ich schaute auf das Papier. Ich las es durch. surl  |  tesh-echer lehrte sich selbst zu lügen.
    »›Ich bin wie der Felsen, der zerbrochen war‹«, deklamierte Scile. »Dann: ›nicht nicht wie‹. Er kann es nicht ganz tun, doch er versucht, vom ›Ich bin wie der Felsen‹ zum ›Ich bin der Felsen‹ zu gehen. Verstehst du? Der gleiche komparative Begriff, aber anders. Nicht mehr eine Gegenüberstellung.«
    Er zeigte mir alte Bücher in Papierform und in Virtua: Leezenberg, Lakoff, u-senHe und Ricœur. Ich war an seine seltsamen Faszinationen gewöhnt; sie hatten vor langer Zeit dazu beigetragen, mich zu bezaubern. Nun bewirkten sie und er, dass ich mich unbehaglich fühlte.
    »Ein Simile ist wahr, weil du es so sagst«, führte er aus. »Es ist eine Überredung: Dies ist wie das. Für ihn ist das nicht mehr genug. Similes sind nicht mehr genug.« Scile starrte. »Er will dich zu einer Art von Lüge machen. Alles ändern. Das Simile verdeutlicht ein Argument: Es ist anhaltend, eindeutig, wahrheitsstiftend. Man braucht kein … logos , wie man es zu nennen pflegte. Urteilsvermögen. Man braucht … nichts Unvergleichbares miteinander zu verbinden. Anders als wenn man behauptet: ›Dies ist das.‹ Wenn es offensichtlich das, nicht ist. Das ist es, was wir tun. Das ist es, was wir ›Vernunft‹ nennen – diesen Austausch, diese Metapher. Dieses Lügen . Die Welt wird zu einer Lüge. Das ist es, was Surl Tesh-echer will. Eine Lüge hereinbringen.« Scile sprach sehr ruhig. »Er will das Böse einlassen.«
    »Ich bin besorgt wegen Scile«, sagte ich zu Ehrsul.
    »Avice«, erwiderte sie schließlich, nachdem ich versucht hatte, es ihr zu erklären. »Es tut mir leid, aber ich bin mir nicht sicher, was du zu mir sagst.« Sie hörte wirklich zu: Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass sie mir einfach nur zu verstehen geben wollte, dass ich nicht mehr davon reden sollte. Ehrsul hörte zu, doch ich bin mir nicht sicher, was sie hörte. Ich war schwerlich präzise; ich konnte es einfach nicht sein.
    »Ich bin besorgt wegen Scile«, sagte ich zu CalVin. Ich versuchte es stattdessen bei ihnen. »Er ist ein bisschen religiös geworden.«
    »Pharotekton?«, fragte einer von ihnen.
    »Nein.

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