Stadt der Liebe
Hochzeit zustande.
Nun waren sie verheiratet. Und was macht man mit einer Elfjährigen, wenn man selbst erst dreizehn ist? Längst war dies auch zur augenzwinkernden Preisfrage am Hof geworden.
Vielleicht hatte man hundert Jahre vor Ludwigs Zeit eine solche Frage nicht zu stellen gewagt, doch die Zeiten hatten sich geändert, und die Heilige Kirche hatte überdies, vor allem in Italien und Frankreich, ihren Zugriff auf die Menschen als Verwalterin fleischlicher Lüste und Sünden verloren. Die Sitten lockerten sich, nicht zuletzt durch das Beispiel, das die geistlichen Herren selbst gaben, und so blühte die Liebe in all ihren Formen.
Was also, so fragte man sich, verband diese beiden Kinder? Woher rührte das zärtliche Einverständnis, das ihre ineinandergetauchten Blicke zeigten und das sie stumm lächelnd kommunizieren ließ, wo andere Worte machten.
Viel flüsterten die Höflinge und wußten so wenig. Und selbst die Hoffnung, die sie Zofen und Kammerdiener bestechen ließ, damit sie das Rätsel lösten, erwies sich als trügerisch.
Nun: Der dreizehnjährige Dauphin mochte zwar eine große Nase haben, aber er hatte auch einen kräftigen Körper. Und je weiter Ludwig heranwuchs, desto imponierender stählte er diesen Körper und wurde zum Mann. Die Kriegskunst, das Fechten und Reiten, die Geschicklichkeit, den Gegner mit der Lanze und hoch zu Pferd aus dem Sattel zu werfen, das Schießen mit Pfeil und Bogen, mit Armbrust und Muskete, das alles gehörte zur Prinzen-Erziehung, so wie auch das edle Waidwerk. Und darin tat es dem jungen Dauphin von Frankreich wohl kaum einer nach. War er doch einer der wenigen am Hof, die es verstanden, mit einem einzigen Lanzenwurf ein Wildschwein zur Strecke zu bringen.
Mit fünfzehn bereits stellte er so seinen Mann. Und dies nicht allein im Wald bei der Hatz oder auf dem Fechtboden, nein, auch dort, wo seit allen Zeiten wahre Männlichkeit zur Schau gestellt wird – im Bett. Es waren nicht nur Mägde oder Zofen, die es sich zur Ehre anrechneten, den jungen Ludwig in die wahre ›ars amandi‹ einzuführen, auch Damen aus edelstem Geblüt, Trägerinnen der großen Namen und Titel Frankreichs zählten dazu. Und sie alle, die Herzoginnen, Gräfinnen und Marquisen waren sich einig im Urteil: Er versteht es.
Was also trieb er mit diesem zerbrechlichen Geschöpf an seiner Seite? Diesem in Gedichte und Bücher versponnenen Wesen, dem dunkelhaarigen und grauäugigen Kind Margaret aus Schottland?
Niemand vermochte es zu verstehen.
Dabei war es so einfach.
»Mein Herzblatt Margaret«, wie der Dauphin sie nannte, verkörperte in all ihrer Zerbrechlichkeit etwas, das er sonst nirgends finden konnte: ein träumendes Herz, eine zarte Seele, die sich nur im Fantasieland der Dichter zu Hause fühlte, ihm die großen Meister und deren Visionen nahebrachte. Vergil deklamierte, aus Dantes oder Petrarcas Werken las und auch die Verse eines Alain Chartier zitierte, wenn es wieder einmal darum ging, einen Sinn in den verwirrenden Fragen des Lebens zu finden.
Margaret würde ihren Ludwig früh verlassen. Nicht mehr als zweiundzwanzig Jahre schenkte ihr das Leben. Und vielleicht spürte sie es damals schon.
Für Ludwig aber war sie in all ihrer empfindsamen Kindlichkeit die Vertraute, der Mensch, der ihm nicht nur das Tor zu einer anderen Welt, der Welt der Kunst aufstieß, sondern auch in Heiterkeit die Kraft verlieh, die Einsamkeit des Erwachsenwerdens zu ertragen. Denn schon als Jüngling hatte er jene Eigenschaft entwickelt, die später seine Regierungszeit als König auszeichnen würde: Den unbestechlichen Blick für die Schwächen Frankreichs – in erster Linie gegenüber denjenigen, die von sich sagten, das Wohl des Landes im Auge zu haben, während sie es von innen her zerstörten. Es waren die Fürsten, die Grafen, Herzöge, jene lokalen Machthaber und Provinz-Potentaten, die um ihres egoistischen Größenwahns und ihrer Prunksucht willen die Krone im Geheimen bekämpften, einen König nur als willfähriges Werkzeug zu ertragen bereit waren und den Hof in ein Schlangennest der Intrigen verwandelten, in dem jeder nur die eigenen Interessen verfolgte.
Sie waren seine Feinde. Noch kannte er sie nicht alle, und viele ihrer Ziele blieben ihm verborgen, aber er würde sie aufdecken und einen nach dem anderen vernichten.
Es gibt stets Epochen in der Geschichte, die unter dem Zeichen des Umbruchs stehen. Nicht alle, aber viele, sehr viele Menschen spüren dies instinktiv, so wie Tiere
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