Stadt der Liebe
steht's, deutlich genug geschrieben, auf dem Papier.«
»Der Dauphin konnte, als er dieser Laune nachgab, nicht ahnen, was sich schon sehr bald ereignen würde. Verschwörer trachteten ihm nach dem Leben.«
»Die finsteren Pläne konnten, wie ich annehme, abgewendet werden, sonst stündet Ihr nicht hier und würdet mir von ihnen berichten.«
»In der heutigen Nacht erst setzten unsere Gegenschläge ein.«
»Und ich wiederhole: Die Gegenschläge waren, nehme ich an, von Erfolg gekrönt.«
»Aber der Dauphin hat jetzt trotzdem noch etwas anderes im Kopf als Hofbälle. Das will ich sagen.«
»Ihr meint, die Veranstaltung fällt aus?«
»Ganz sicher!«
»Sollte dem so sein, werde ich es früh genug am Einlaß des Schlosses erfahren.«
Zorn bemächtigte sich des Kommandanten der Garde.
»Ihr bleibt also stur?«
»Stur? Was heißt das denn? Ich kenne dieses Wort nicht.«
»Es stammt aus dem Deutschen. Ich hörte es oft während eines Aufenthalts in Trier am Rhein. Es trifft genau Euer Verhalten.«
»Liegt Trier nicht an der Mosel?« antwortete Chartier in unverkennbarem Spott.
Der Marquis errötete.
»Kann sein«, meinte er wegwerfend. »Ob Rhein oder Mosel, das ist egal. Ein Wasserlauf war's, auf dem wir mit dem Schiff gefahren sind. Entscheidend ist etwas anderes, nämlich eben die Tatsache, daß Ihr, wie gesagt, stur bleiben wollt.«
»Langsam verstehe ich, was das Wort zum Ausdruck bringen will.«
»Was denn?«
»Beharrlichkeit.«
»Nein, nein!« rief der Kommandant. »Der Unterschied ist groß! Beharrlichkeit ist etwas Positives! Sturheit, wie das Substantiv im Deutschen heißt, ist etwas Negatives!«
»Und Ihr meint also, es wäre etwas Negatives, wenn ich der Einladung des Dauphin Folge leisten würde?«
»Ja.«
Ein neuer Hustenanfall erschütterte plötzlich Chartiers Körper. Blut wurde am Mund wieder sichtbar. Der Dichter mußte sich aufs zerwühlte Bett setzen.
Als der Anfall vorüber war, sagte der Marquis: »Seht Euch doch an, Ihr könnt Euch nicht einmal mehr auf den Beinen halten und wollt zu einem Ball gehen; das ist lächerlich!«
»Ich kenne das«, antwortete Chartier mit schwacher Stimme. »Es wechselt ab. Kurz darauf kann es sein, daß ich mich wieder erstaunlich kräftig fühle. Auf eine solche Phase hoffe ich für heute abend.«
Endlich sah der Marquis de Bréguérac ein, daß es keinen Zweck hatte, den Hofball vor einer Katastrophe bewahren zu wollen. Jedes Wort war hier in den Wind gesprochen. Am liebsten wäre deshalb der Hochadelige zum Schluß noch außerordentlich ordinär geworden und hätte Zuflucht zu einer weiteren deutschen Formulierung genommen, die er auch in Trier an der Mosel – nicht am Rhein – aufgeschnappt hatte, eine Formulierung, welche gute dreieinhalb Jahrhunderte später durch den größten deutschen Dichter der Weltliteratur eingeführt wurde; die Rede ist von Johann Wolfgang von Goethe und seinem Stück ›Götz von Berlichingen‹.
Sich beherrschend, machte der Marquis stumm auf dem Absatz kehrt und wandte sich zur Tür. Dort drehte er sich aber noch einmal um und sagte in verletzender Schärfe zu Chartier: »Ihr werdet doch wenigstens ein Bad nehmen, ehe Ihr hier aufbrecht?«
Dann fiel die Tür hinter ihm zu, und der Lärm, der sich draußen erhob, kündete davon, daß sich der Kommandant und seine berittene Begleitung rasch entfernte. Den fühlbarsten Schaden vom Ganzen hatte nun das Pferd des Marquis, der in seiner Stimmung am Zaumzeug riß und dem geplagten Tier die Sporen in die Flanken stieß. Und immer wenn der Gaul dann nach vorne schoß, wurde er wieder schmerzhaft gezügelt.
Alain Chartier saß auf seinem Bett und las noch einmal den Brief des Dauphins. Spürte er, daß sich die große Wende seines Lebens angebahnt hatte? Meinte er, daß er aus dem Dunkel des Elends ins Licht jener Zeit zu treten sich anschickte? Fühlte er das? Man weiß es nicht. Man weiß – und auch er selbst wußte das sicher damals schon –, daß er nur noch eine knappe Zeit zum Leben hatte, zwei, drei Jährchen.
Sogar das Sitzen auf seinem Bett ermüdete ihn, er legte sich, die Augen fielen ihm zu, und er schlief.
Als Alain Chartier wieder die Lider aufschlug, stand die Sonne hell am Himmel. Er entsann sich der letzten Worte des Kommandanten. – Nun gut, dachte er, auch wenn er mich noch so sehr beleidigt hat, dieser arrogante Bréguérac, in einem hat er recht: Ich brauche ein Bad.
Er setzte sich auf, strich die verschwitzten Haare aus der Stirn, rutschte
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