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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Schilf des Sees zog in der morgendlichen Stille sachte der erste schwarze Schwan.

VII
    Schräg gegenüber der Église Notre Dame, jenseits der Seine-Insel, die der Pariser Île de France nennt, trabte in der fahlen Morgendämmerung ein dicker, kleiner Reiter, der sich oft mit seinem wurstartigen Zeigefinger zwischen Hals und Spitzenkragen fuhr, da er sogar in dieser morgendlichen Kühle nicht das Schwitzen unterdrücken konnte. Die Ursache nannten die Ärzte zwar Herzverfettung, doch der Herr Präfekt ließ das nicht gelten und hoffte, nach dem Aufstand Zeit genug zu haben, um seine schweißtreibenden Drüsen tief im Süden an der schäumenden Biskaya etwas zu kurieren.
    Sorglos, ohne Ahnung von den nächtlichen Begebenheiten, trabte er die heutige Rue de Rivoli hinab und inspizierte an den Ecken die vor Schreck erstarrten Posten seiner Polizei, denn in den Zeiten, da der Krieg mit England und der Schweiz noch schwelte, zogen aus dem Wirrwarr dunkle Elemente ihren Nutzen. Der Präfekt hielt auf strenge Ordnung und ließ alle Plätze bewachen, die für Paris von Wichtigkeit waren.
    Kurz vor dem heutigen Place de la Concorde, der damals eine weite, unbebaute Fläche war, auf welcher der Herr Präfekt die Polizei zum Appell versammelte, holte den dicken Reiter ein Gaul ein, der vom Diener des Präfekten bis aufs Blut gespornt und angetrieben worden war.
    »Herr!« schrie der Diener. »Herr, die Wachen sind bei Euch!« Dann fiel er fast vom Pferd, rutschte herunter und lehnte sich an die Flanke des zitternden Gaules.
    Der schwitzende Präfekt, der an den Süden gedacht hatte, mußte erst den Diener eine Weile anstarren, bis er begriff, daß diese Meldung gleichbedeutend war mit seinem Tod. Mit einem Satz, den ihm niemand zugetraut hätte, sprang er von seinem Pferd, riß den Diener an dessen Rockaufschlägen nah an sich heran und brüllte so laut, daß die fette Stimme grell sich überschlug: »Die Wache? Welche Wache?«
    »Von der Königsgarde.«
    »In meinem Haus? Was wollten sie? Sprich, Kerl, sprich!«
    »Sie suchten Euch. Sie traktierten uns, die Dienerschaft, mit Fragen, wo Ihr heute wart, ob Ihr Besuche empfangt, ob Ihr den Comte de Buron als Freund betrachtet, ob –«
    »Genug!« Der bebende Präfekt saß wieder auf dem Pferd und ließ es ungeduldig tänzeln. »Und du? Wie kamst du aus dem Haus?«
    »Ich floh, als man die Keller durchsuchte.«
    »Hier hast du Geld!« Der Dicke warf dem Diener einen Beutel zu. »Es reicht für dich ein halbes Jahr. Bis dahin sieht's in Frankreich wieder anders aus. Und nun – verschwinde! Ein halbes Jahr bist du gestorben, verstehst du!«
    Mit weiten Sätzen sprang das Pferd des Präfekten davon, während der Diener auch auf seinen Gaul kletterte und in Richtung Ménilmontant entfloh. Mit harten Schlägen trieb der Lakai sein Tier zur höchsten Eile an, umritt die Wachen an der Mauer und versuchte, im Bogen an das Stadttor von Vincennes heranzukommen. Doch Paris war schon von der Garde und anderen königstreuen Einheiten ganz rasch abgeriegelt worden, und überall, wo der vor Angst zitternde Lakai den Durchbruch wagen wollte, stieß er auf gekreuzte Hellebarden.
    Auch der Präfekt, der über Batignolles nach Clichy zu entfleuchen strebte, sah von den Speeren seiner eigenen Polizei den Weg versperrt. Fluchend riß er sein Pferd herum und trieb es in die Stadt zurück, um im dunklen Hafenviertel an den Quais einen Unterschlupf zu finden. Erschöpft und zitternd, ein gebrochener Mann, fettwabbelnd und vom Schweiß durchnäßt, als sei er gerade aus dem Bad gestiegen, fiel er im Keller eines kleinen Lagerschuppens neben einem Bordell auf ein Pritschenlager und hieb vor Wut und in stammelnder Verzweiflung mit beiden Fäusten gegen seine kalte, nasse, fleischige breite Stirn.
    Am heutigen Place des Buttes Chaumont schoß eine Streife der Gardisten zur gleichen Stunde mit den Armbrüsten einen irrenden Reiter aus dem Sattel eines an den Flanken blutenden Gaules und entdeckte in den Taschen des Toten einen Beutel Gold, der mit dem allgemein bekannten Wappen des Polizeipräfekten bestickt war.
    Als eine helle Sommersonne aufging und alle Blüten öffnete, stand ein General vor dem Dauphin und sagte: »Paris ist unter Kontrolle, es herrscht Ruhe. Die Verschwörer sind festgesetzt oder getötet. Lediglich der Polizeipräfekt hält sich noch versteckt.« Und mit erhobener Stimme fügte er hinzu: »Aber wir werden ihn finden, und wenn wir das letzte Haus der Stadt durchsuchen müssen!

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