Stadt der Lügen

dass meine Wut und der Schmerz in meiner Seele die Oberhand gewinnen, weiß ich nicht, zu was ich fähig wäre. Ich habe Angst davor und versuche immer, über den Dingen zu stehen.
    Als ich mich umdrehte und wieder ins Haus ging, verspürte ich einen gewissen Stolz darüber, dass es mir gelungen war.
    Ich hatte mich daran erinnert, wer ich war.

 
Schmierfink
     
     
    Tatsache ist, dass die meisten Schriftsteller sich für die vernünftigsten Leute der Welt halten. Unter Druck streiten einige es bescheiden ab, legen aber dabei das wissende Lächeln eines Menschen an den Tag, der nicht bereit ist, einem Uneingeweihten ein Geheimnis anzuvertrauen. Andere wiederum geben zu, dass eine gewisse Wahrheit in der Behauptung liegt, und akzeptieren es als Folge ihres nachdenklichen Lebensstils. Und dann gibt es noch die, die sich hin- und hergerissen fühlen, weil sie sich einerseits selbst sowohl aufgrund ihrer Weisheit als auch ihres tiefen Verständnisses wegen für Gott ebenbürtig halten, andererseits den größten Teil ihrer Berufskollegen als Dummköpfe, arme Irre und anmaßende Heuchler betrachten.
    Ich bin selbst Schriftsteller und muss mich vermutlich zur zweiten Kategorie zählen. Nun könnten Sie natürlich fragen, was an der Arbeit als erster Drehbuchautor für eine Seifenoper besonders ›nachdenklich‹ ist; ich halte diese Frage für berechtigt. Aber auch wenn ich nichts weiter mache, als jeden Tag das Prisma begrenzter zwischenmenschlicher Beziehungsmöglichkeiten so zu drehen und zu wenden, dass eine bisher noch nicht ergründete Perspektive ein paar neue Episoden ermöglicht, gehen in meinem Kopf Dinge vor, die nicht im Kopf eines – sagen wir Transportunternehmers, Arzneimittelvertreters, Industriebonzen oder Staatspräsidenten vorgehen. Diese Leute leben nämlich eher in ihrer Umwelt als in ihren eigenen Köpfen; bei uns Schriftstellern ist es notwendigerweise eher das Gegenteil. In der Dunkelheit unserer Vorstellungskraft entwerfen und planen wir Schattenleben, die ihre Tage auf den Bildschirmen und Bühnen und manchmal auch auf den Buchseiten der Welt verbringen. Wenn unser Publikum nicht rückhaltlos seine Ungläubigkeit aufgibt und alles schluckt, was wir ihm anbieten, wären wir gut beraten, uns einen neuen Job zu suchen. Wir verfügen über Überzeugungsmöglichkeiten, die wir sowohl dazu benutzen, Wahrheiten zu enthüllen, als auch Schwindel zu entlarven oder Frivoles zu verkaufen. In gewisser Hinsicht sind wir Zauberkünstler. Und genau aus diesem Grund glauben wir, dass man uns nicht allzu leicht zum Narren halten kann.
    Das alles schicke ich nur voraus, um zu erklären, dass niemand die Ereignisse zumindest zu Beginn skeptischer beurteilt hätte, als ich es tat. Ich möchte vermeiden, dass Sie glauben, sich in den Fängen eines im Literaturgeschäft als »unzuverlässiger Erzähler« bezeichneten Autors zu befinden; die folgende Geschichte ist zwar fantastisch, aber keine Ausgeburt meiner Fantasie.
    Ich lebe zusammen mit meiner Geschäftspartnerin. Sie ist auffallend attraktiv, intelligent, ehrgeizig und einige Jahre jünger als ich (ich bin neununddreißig). Wir lernten uns kennen, als ich für die wichtigste Serie des Senders zu schreiben begann, der nach über vier Jahren allmählich die Luft ausging. Claire hatte zu Beginn der Dreharbeiten als kleine Produktionsassistentin angefangen, war aber längst zur Produzentin befördert worden, als ich zum Team stieß. Kurz nachdem ich angefangen hatte, gönnte sie sich mit dem subtilen Sinn für Timing, der junge Leute in Führungspositionen als Wegbereiter zukünftiger Legenden kennzeichnet, ein Sabbatjahr zur Erkundung neuer Projekte. Erst einige Wochen danach gingen wir das erste Mal miteinander ins Bett. Zwar hatten wir beide schon einige Zeit gespürt, dass es geschehen würde, aber erst ihr Ausscheiden aus einer Abhängigkeitsstruktur, in die wir beide eingebunden waren, machte uns so frei, dass wir Sex haben konnten. Wir mussten einfach sicher sein, dass nichts anderes dahintersteckte als unser persönliches Vergnügen. Nachdem das alles geregelt war, erzählte sie mir nach unserer zweiten Nacht von ihrer Idee für eine neue Show.
    Die Idee war zwar gut, aber hoffnungslos unterentwickelt. Wie die meisten Leute, die selbst nicht schreiben, hatte sie nie den Unterschied zwischen einem Entwurf und der endgültigen Story begriffen. Ein Entwurf ist das, was man mit zwei Zeilen in der Fernsehzeitschrift umreißen kann, um das Interesse der