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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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etwas anderes. Sie wurde zu einer Art Privatleben, die mir die anderen um keinen Preis gönnten. Ich stand nicht mehr außerhalb der Welt der anderen, sondern war plötzlich zu ihrem Mittelpunkt geworden. Ich kann Ihnen sagen, das hat durchaus seine Nachteile. Und ich hätte gern mit Christopher darüber gesprochen, wenn er mir nicht diese Gemeinheit angetan hätte.
    Ich stieg über eine niedrige Mauer in den Garten des Nachbarhauses. Hier waren die Büros einer kleinen Produktionsfirma untergebracht, in denen sich nachts niemand aufhielt. Ich näherte mich der sich windenden Gestalt, von der ich wusste, dass es Christopher war. So wie er da hing, hätte er eine ausgezeichnete Vogelscheuche abgegeben. Seine Augenhöhe lag über meiner, und er starrte mich furchtsam an, als er mich vor sich auftauchen sah.
    »Mir scheint, du hast dich auf dem Rückweg von der Toilette verirrt«, sagte ich. Ich sprach leise und in neutralem Ton, was angesichts der in mir tobenden Gefühle nicht ganz einfach war.
    Seine Antwort bestand in der Hauptsache aus Husten und Stammeln; einzelne Worte wiesen keine sinnvolle Reihenfolge auf. Ich fühlte in meiner Tasche nach dem vertrauten Holzgriff, der sich immer dort befand. Meine Finger schlossen sich fest um ihn.
    »Vielleicht ist dir auch nur plötzlich eingefallen, dass du eigentlich ganz woanders sein solltest«, schlug ich vor. »War es das?«
    »Hm … na ja … hm …«
    »Weißt du, ich habe schon einmal mit einer Journalistin gesprochen«, erzählte ich. Immer noch bemühte ich mich, die Emotionen zu unterdrücken, die ich in meiner Stimme spürte. »Sie hat mich ebenfalls enttäuscht. Willst du wissen, was sie in ihrem Artikel über mich geschrieben hat? ›Ein Symbol für die fortschreitende Identitätskrise, die das heutige Hollywood auszeichnet.‹ Das hat sie gesagt.«
    Ich machte eine Pause, damit er meine Worte verdauen konnte und fügte dann hinzu: »Was soll das deiner Ansicht nach bedeuten, Christopher?«
    »Ich weiß … ich weiß … ich weiß wirklich nicht, ob …«
    Meine Finger strichen über die glatte Holzoberfläche in meiner Tasche und tasteten nach der Sicherung, mit der man die Klinge entriegelte.
    »Ich habe nur eine einzige Frage an dich«, fuhr ich fort. »An dich ganz persönlich, Christopher. Eine einzige.«
    »Ja … ja natürlich … was denn?«
    »Wer bin ich?«
    »Wer? Na, du bist … du bist … Elvis …«
    »Elvis – und wie weiter?«
    »Elvis Presley.«
    Um uns entstand eine absolute Stille, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Das einzige Geräusch, das ich hören konnte, war ein langsam ansteigendes, schreckliches, schmerzerfülltes Brüllen tief in mir. Es begann tief unten, stieg auf wie Magma in einem Vulkan und explodierte in einem einzigen Wort aus meinem Mund.
    »Lügner!«
    Ich zog das Messer heraus und entriegelte mit der gleichen, glatten Bewegung die Klinge. Das Messer schnappte auf.
    »Nein! Bitte nein! Um Himmels willen!«
    Er stieß einen Schrei aus, als ich einen Schnitt nach oben und einen nach unten machte und ihm den Hosenboden sauber aufschlitzte. Mit einem reißenden Geräusch löste er sich vom Zaun und plumpste wie ein Sack Kartoffeln zu Boden. Ich versuchte nicht, ihn aufzufangen. Bewegungslos sah ich zu.
    Bis er seine Arme befreit und sich auf die Füße gerappelt hatte, schien er die Gabe der Sprache verloren zu haben. Mit übertriebener Vorsicht klappte ich das Messer zusammen und steckte es ein. Seine Augen verfolgten es, bis es in meiner Tasche verschwunden war. Erst dann sah er mich an.
    »Wenn du mit mir reingehst«, sagte ich und setzte mit Mühe ein dünnes Lächeln auf, »finden wir sicher eine andere Hose für dich – im Fundus.«
    Er starrte mich an, als wäre ich irre, obwohl er selbst viel eher so aussah, wie er da in Unterhosen, mit zerrissener Jacke und völlig verstrubbelten Haaren vor mir stand. Und genau in diesem Zustand drehte er sich um und rannte die Allee Richtung Sunset hinunter, als wäre eine ganze Meute bissiger Hunde hinter ihm her.
    Ich stellte mir vor, was passieren würde, wenn er versuchte, ein Taxi anzuhalten. Wahrscheinlich würde die Polizei ihn einkassieren. Hoffentlich steckten sie ihn über Nacht in die Ausnüchterungszelle.
    Es war zwar knapp gewesen, aber ich hatte die Kontrolle behalten. Ich hatte meine Würde bewahrt und der Versuchung widerstanden, mich an diesem Mitleid erregenden, unwichtigen Individuum für mein verfehltes Leben zu rächen. Sollte es je geschehen,

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