Stadt der Lügen
möchte ich dich mit zu mir nehmen. Ich hab da ein Zeug, das bringt dich um den Verstand.«
»Etwa Drogen?« Er sah mich argwöhnisch an.
»Um Himmels willen nein. Andenken. Zeug, das beweisen kann, dass ich wirklich der bin, der ich zu sein behaupte – zumindest jedem anständigen, aufnahmefähigen Menschen. Einem wie du. Du kannst die Informationen nach deinem Gutdünken nutzen.«
»Also weißt du … vielleicht lieber morgen.«
»Ich wohne nur zehn Minuten von hier, höchstens fünfzehn. Wir müssen nur den Freeway runter und dann …«
Er räusperte sich und schien etwas sagen zu wollen, änderte aber dann seine Absicht. »Würdest du mich bitte entschuldigen«, bat er, »ich muss mal eben zur Toilette …«
»Klar«, sagte ich und nahm die Hand von seiner Schulter, als er aufstand. »Sie ist da hinten, ganz in der Nähe des Eingangs. Sieh dich vor, dass du nicht wieder hinfällst, okay?«
Er lachte nervös und fügte dann hinzu: »Ach übrigens, die Rechnung geht auf mich.«
Ich sagte ihm, darum brauche er sich nicht zu kümmern.
»Ich meine es ernst«, insistierte er, »ich bekomme die Spesen erstattet.«
»Weißt du«, widersprach ich und zwinkerte ihm zu, »das sind Gespenster. Dein Geld taugt hier nichts. Du hast nicht einmal etwas getrunken, du glaubst es nur. Sobald du draußen an der frischen Luft bist, wirst du merken, dass du stocknüchtern bist und wir uns wieder neu betrinken müssen.«
Er ging hinaus. Dabei hielt er sich auf merkwürdige Weise sehr gerade, was ihm zu helfen schien, nicht im Zickzack zu laufen.
Kurze Zeit später wartete ich in der Garderobe am Ausgang auf ihn. Von meinem Standort konnte ich die Tür der Herrentoilette sehen. Irgendwann ging sie einen Spaltbreit auf, und sein Gesicht erschien, doch sobald er mich bemerkte, hielt er inne.
»Kleinen Moment noch«, sagte er. »Ich habe etwas vergessen.« Er trat einen Schritt zurück und schloss die Tür.
Was mochte er vergessen haben? Die Spülung zu betätigen? Ich fand es etwas seltsam und hoffte, dass ich mich nicht in ihm geirrt hatte. Wenn doch, wäre ich sehr enttäuscht. Und ärgern würde es mich auch.
Ich hörte ein Geräusch, als ob etwas zerbräche. Sofort lief ich zur Herrentoilette und stieß die Tür auf.
Eines der Fenster über den Kabinen stand offen. Der Toilettendeckel lag in tausend Stücken auf dem Boden. Er musste ihn beim Klettern aus der Verankerung gerissen haben.
Ich hievte mich am Fenster hoch und sah nach, ob ich noch einen Blick auf ihn erhaschen konnte. Ich weiß nicht genau, ob ich zu diesem Zeitpunkt schon daran dachte, hinter ihm her zu klettern. Ehrlich gesagt war ich eher verletzt als verärgert. Von Natur aus bin ich nicht gewalttätig, aber ich fühlte mich verraten.
Zunächst konnte ich nicht viel sehen. Draußen war es ziemlich dunkel. Dann sah ich, wie sich etwas bewegte. Er versuchte, über einen Drahtzaun zu klettern, der die Rückseite des Hauses vom Nachbarhaus trennte. Es fiel ihm sichtlich schwer. Der Zaun war hoch, bestimmt acht Fuß mindestens. Mehrmals versuchte er, sich darüber hinwegzuschwingen, doch er schaffte es nicht. Ich hörte ihn grunzen; es muss ganz schön wehgetan haben.
Schließlich gelang es ihm doch, aber seine Jacke blieb hängen. Er bemühte sich, sie auszuziehen, um endlich herunterklettern zu können, verhedderte sich aber nur noch mehr. In null Komma nichts hing er so hilflos am Zaun wie ein Gefangener an der Wand eines mittelalterlichen Verlieses.
Ich kann mich nicht erinnern, das Gebäude verlassen zu haben, aber plötzlich war ich draußen an der frischen Luft und wanderte die leere, stille Allee hinunter. Man hörte nichts als das Summen des Verkehrs in der Ferne, und außer den Lichtreflexen der Stadt am Himmel gab es keine Beleuchtung. Wir befanden uns in düsterem, einsamem Niemandsland. Kein Mensch konnte uns hier sehen – weder mich noch diesen Mann, der mich soeben tief gedemütigt und beleidigt hatte.
Mir war klar, dass er mich für verrückt hielt. Er sah in mir den Mitleid erregenden, ruhmgeilen Spinner, der seinen Mangel an Selbstbewusstsein dadurch zu kompensieren versuchte, dass er die Identität einer Legende annahm. Mir war aber auch klar, dass er nicht wusste, was Ruhm bedeutete. Ruhm verändert nämlich nicht den Menschen selbst, sondern nur die Art und Weise, wie er von anderen Menschen angesehen wird. Ich wusste es, weil es mir passiert war. Ich war immer einsam gewesen, aber mit dem Ruhm verwandelte sich die Einsamkeit in
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